Nachhaltigkeit am Theater

"Eine Klimabilanz machen bedeutet, dass man Menschen nerven muss"

Publié le 15. nov 2024

Foto von Markus Spiske <a href="https://unsplash.com/de/fotos/menschen-versammelten-sich-vor-gebauden-mit-schildern-von-climate-justice-now-dYZumbs8f_E" target="_blank" rel="noopener">auf Unsplash</a> © Foto von Markus Spiske auf Unsplash © Foto von Markus Spiske auf Unsplash
Nachhaltigkeit am Theater

"Eine Klimabilanz machen bedeutet, dass man Menschen nerven muss"

Publié le 15. nov 2024

Als erste Spielstätte Münchens hat das Pathos Theater dieses Jahr eine Klimabilanz vorgelegt und ein Klimafolgekosten-Ticket eingeführt. Dr. Dana Pflüger war federführend an diesem Projekt beteiligt. Im Interview berichtet sie über Vorgehensweise, Fallstricke und überraschende Erkenntnisse – und warum Kulturbetriebe beim Thema Klimaschutz eine Vorbildfunktion einnehmen sollten.

Theapolis: Dana, Ihr habt am Pathos Theater ein Klimafolgekosten-Ticket eingeführt. Was hat es damit auf sich?

Dana Pflüger: Ich möchte vorwegschicken, dass wir die Preise nur auf freiwilliger Basis erhöhen. Es gibt jeweils ein Ticket mit und eins ohne Klimafolgekosten-Zuschlag. Die Geschichte hat einen ziemlich langen Vorlauf – soll ich mal was zur Klimabilanz sagen, die wir gemacht haben?

Ja, gern. Manche Theater wissen vermutlich noch nicht mal, was das ist.

Eine Klimabilanz ist der erste Schritt, wenn man den eigenen Betrieb nachhaltiger machen möchte. Sie zeigt an, wie viele Treibhausgase – insbesondere CO2 – durch den Betrieb entstehen. Dabei stellt man zunächst den Status Quo fest und lernt dadurch, welches die wirkungsvollen Stellschrauben sind, die es im Betrieb gibt, an denen man etwas verbessern kann. Kulturbetriebe sind ja nun wirklich sehr unterschiedlich, es geht also nicht darum, sich mit anderen zu vergleichen, sondern die eigenen Verbesserungen zu messen. Dafür macht man dann jedes Jahr eine Klimabilanz nach den gleichen Kriterien und kann schauen, wie man sich entwickelt.

Wie geht man vor, wenn man eine Klimabilanz erstellen will?

Es gibt seit ein paar Jahren einen deutschen Standard zur Klima-Bilanzierung für Kultureinrichtungen. Der kann beim Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit heruntergeladen werden.

Was wird bei der Klimabilanz speziell für Kultur-Einrichtungen betrachtet?

Die Klimabilanz geht von drei "Scopes" aus. Das ist eine Einteilung, die beschreibt, wie dicht am Kernbetrieb die Emissionen entstehen. In Scope 1 entstehen die Emissionen direkt im Kernbetrieb, etwa wenn man heizt. Scope 2 sind Dinge, die man dazukauft, z.B. Strom oder Kühlmittel. Und dann gibt es Scope 3, das ist der Größte von allen. Das sind Emissionen, die etwas weiter entfernt entstehen, wie zum Beispiel durch die Anreise von Zuschauer*innen oder die Gast-Produktionen, die zu uns kommen.

Und wie ermittelt man dann die Emissionen?

Mit dem Rechner der Klimabilanz-Kultur. Das ist eine große Excel-Tabelle, in der die Emissionsdaten vom Umwelt-Bundesamt hinterlegt sind. Das geht supereinfach: Man trägt seine Werte da ein und dann wird das automatisch ausgerechnet.

Es gibt zwei sogenannte Bilanzierungstiefen. Die Erste ist die normale Klimabilanz Kultur. Da sind z.B. vom Scope 1 Wärme, vom Scope 2 Strom, Kühlmittel, Fuhrpark, Geschäftsreisen, Pendeln der Mitarbeitenden und dann vom Scope 3 externe Warentransporte drin. Das ist quasi das Verpflichtende. Und dann kann man das zur "Klimabilanz Plus" ergänzen. Dann werden im Scope 3 noch weitere Dinge betrachtet, z.B. die Anreise der Besuchenden. Wir haben beide Bilanzierungstiefen gemacht, weil eine Klimabilanz ohne die Besuchenden unserer Meinung nach einfach keinen Sinn macht.

Eure Klimabilanz kann man auf Eurer Webseite herunterladen. Dort werden alle Emissionen in "kg CO2e" angegeben. Was bedeutet das?

In Klimabilanzen werden alle Emissionen, also auch alle anderen Treibhausgase wie Lachgas oder Methan, die ja noch eine höhere Klimawirkung haben als CO2, der Einfachheit halber umgerechnet in CO2-Äquivalente. Deswegen steht immer CO2 dabei, damit man es besser vergleichen kann.

Schaut man sich Euren Scope 1 an, fällt auf: Euer 240 qm großer Theaterraum emittiert fast genauso viel wie Euer 33 qm großes Büro.

Da haben wir auch sofort gedacht: "Wie kann das denn sein?" Aber das liegt daran, dass unser Theaterraum mit Pellets beheizt wird. Zum Büro muss man sagen, dass die Informationslage etwas spekulativ war, weil wir uns die Heizung im Büro mit anderen Mieter*innen teilen und es nur einen gemeinsamen Zähler gibt. Also: Eine Klimabilanz machen bedeutet, dass man Menschen nerven muss, wirklich hartnäckig nerven muss, bis sie einem Daten geben. Denn keiner hat Lust nachzuschauen, wieviel Pellets in welchem Jahr. Aber da bin ich erfolgreich gewesen, nach einiger Hartnäckigkeit.

Eine Klimabilanz schreiben hat also ganz viel mit Hochrechnen und Schätzen zu tun. Am Ende habe ich mir bei unserem Büro einen Grundriss genommen und bin auf 1,18% der Gesamtfläche gekommen und habe dann die gesamte Heizrechnung dadurch geteilt. Das ist natürlich spekulativ, weil ich nicht weiß, ob z.B. alle Räume gleichmäßig beheizt wurden. Aber bei einer Klimabilanz gilt: Lieber einen spekulativen, geschätzten Wert als gar keinen Wert.

Man findet also nicht nur Werte heraus, sondern auch Probleme, die es beim Werte-Zusammensuchen gibt, z.B. dass Ihr keine eigenen Heiz-Zähler habt?

Ja, ganz genau.

Ihr habt auch versucht, die Emissionen für Eure Gastspiele und Eure szenischen Neuproduktionen zu erfassen. Wie viele davon gibt es denn? Und wie viele Besucher*innen habt Ihr eigentlich so pro Jahr?

Wir haben da eine ziemliche Dynamik drin. 2022 hatten wir insgesamt 223 Vorstellungen und 8.300 verkaufte Tickets. Wir wissen, verkaufte Tickets sind nicht immer reale Besucher*innen. Das hat sich für 2023 jeweils um mehr als ein Drittel erhöht: über 300 Vorstellungen und über 11.000 Tickets. Ich bin gespannt, was dann bei der entsprechenden Klimabilanz rauskommt!

Man kann nicht sagen, dass wir einen fixen Anteil von Gastspielen oder einen fixen Anteil von Neuproduktionen haben. Das hängt immer ein bisschen davon ab, wie viele Ensembles eine Förderung bekommen haben und bei uns spielen möchten. Daher ist unser Programm immer etwas "zusammengestückelt" und wir können auch kein Motto für eine Spielzeit machen. Die Förderanträge sind einfach zu disparat dafür.

In Eurer Klimabilanz wird deutlich, dass Eure Produktionen 23-mal mehr Emissionen verursachen als Eure Heizungen. Das ist ja auch anzunehmen, denn Ihr seid kein Heizbetrieb, sondern ein Theaterbetrieb. Aber trotzdem: Hat Dich das überrascht?

Ja, das hat uns sehr überrascht. Bei den wenigen Klimabilanzen, die es von Kulturbetrieben schon gibt, ist normalerweise der größte Emissions-Faktor die Anreise der Besuchenden. Der liegt ca. bei 80%. Bei uns hingegen machen Besuchenden einen geringen Anteil aus. Und dass die Gastspiele und externen Produktionen mit so deutlichem Abstand an erster Stelle liegen, ja - das hat uns schon überrascht.

Aber was macht Ihr jetzt mit dieser Erkenntnis, dass diese Produktionen so viele Emissionen verursachen?

Wir haben uns ziemlich intensiv damit beschäftigt: Was machen wir jetzt mit diesem riesigen Posten? Das meiste ist Mobilität bei den externen Produktionen. Auch wenn die Akteure in München wohnen und jeden Tag mit dem Auto zu uns hin- und herfahren, dann verursacht das relativ viel. Aber da sind wir angewiesen auf eine Klimawende im Verkehrssektor, da können wir als Kulturinstitution wirklich nicht so viel Einfluss drauf nehmen.

Wir machen Nachgespräche mit den Produktionen: Wer ist wann wohin gefahren, mit welchem Verkehrsmittel, wie viele Kilometer waren das, wieviel Prozent des Bühnenbildes werden weggeschmissen oder weiterverwendet? Wir haben das Gefühl, dass die Produktionen sich da sehr drüber freuen, wenn ihre eigenen Anstrengungen wertgeschätzt werden.

Und so seid Ihr auf das Klimafolgekosten-Ticket gekommen?

Durch die Erkenntnis, dass wir da eigentlich nicht viel machen können, weil wir den Verkehrssektor nicht beeinflussen können, sind wir auf den Weg der Klima-Kompensation gestoßen. Wir haben dann aber festgestellt, dass es für uns nicht infrage kommt, sich mit postkolonialistischen Methoden im Süden quasi reinzuwaschen. Das ist auch im Hinblick auf das Pariser Klimaabkommen nicht richtig, denn wenn man aus Deutschland in anderen Staaten Reduktionserfolge einkauft, dann können sich diese Staaten ihre eigenen Erfolge nicht mehr selbst anrechnen. Das ist wirklich problematisch.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass es die Preise kaputtmacht. Die tatsächlichen Schäden, die durch Emissionen verursacht werden, werden vom Umwelt-Bundesamt für das Jahr 2022 mit 238 Euro Kosten für eine Tonne CO2e angegeben. In den genannten Kompensationsprojekten kann man eine Tonne aber schon für 30 bis 40 Euro kaufen.

Unser Ansatz mit dem Klimafolgekosten-Ticket ist die Vorwegnahme einer CO2-Abgabe, die die wirklichen Klimafolge-Kosten abbildet. Das wird sowieso irgendwann kommen - wir gehen dem nur voran. Und es war uns wichtig, dass dieses Geld hier vor Ort eingesetzt wird, hier in München. Mit diesem Geld wird ein Fonds gespeist, der hier regenerative Energiegewinnung und Energie-Sparmaßnahmen finanziert. Übrigens: Jede*r, der ein Klimafolgekosten-Ticket kauft, erwirbt damit ein Stimmrecht und kann mitbestimmen, welche Projekte hier bei uns umgesetzt werden.

Was würdest Du kleineren Ensembles oder Theatern empfehlen, die Interesse daran haben, nachhaltiger zu werden?

Wir haben einen Vorteil gegenüber großen Theatern: In unserem kleinen Team stehen alle hinter diesem Projekt, wir sind ein Ort, der Veränderungen umarmt. Außerdem sind wir als Betrieb sehr agil. Wir können z.B. einfach mal ein Ticketing ändern. Und immerhin: Bisher – seit Anfang September haben wir es ja – kauft ein Viertel bis ein Drittel des Publikums das Klimafolgekosten-Ticket!

Aufgabe von Kultur ist ja auch ein sogenannter Handprint. Das ist das Gegenstück zum Footprint, der der CO2-Ausstoß ist, den man verursacht. Der Handprint ist ein positiver Impact. Die Hauptaufgabe von Kulturbetrieben ist die Beschäftigung mit gesellschaftlicher Veränderung. Das macht unsere Branche schon sehr viel, indem sie Klima-Themen auf die Bühne bringt. Aber es wäre jetzt meiner Meinung nach ein weiterer Schritt nötig, nämlich dass man selber als Betrieb versucht, ein Vorbild zu sein und zu zeigen, was möglich ist.

Und was können die einzelnen Theaterschaffenden selbst tun?

Jeder einzelne, der sich vom Durchschnitt aus in die richtige Richtung wegbewegt, verschiebt den Durchschnitt ein bisschen. Es gibt sehr viele Menschen, die sich nur am Durchschnitt orientieren – und wenn wir diesen durch unser Handeln verschieben, dann bewirkt das oft mehr, als man denkt.

Wenn ein kleineres Theater jetzt Lust bekommen hat, auch eine Klimabilanz zu machen - an wen wenden die sich?

Ich glaube, dass man - wenn man sich mit dem Klimabilanz-Rechner beschäftigt, ein bisschen Spaß an Excel hat, keine vertieften Kenntnisse und ein bisschen Lust hat, Leute zu nerven, dann kriegt man das auch damit hin. Der ist sehr gut erklärt, da kann man sich Schritt für Schritt durchklicken. Und bei Fragen kann man sich ans Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit wenden.

 

Dana Pflüger (c) PATHOS Theater

Dana Pflüger ist von Haus aus Opernwissenschaftlerin, doch mit ihrem Faible für berufliche Vielseitigkeit nach zehn Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der LMU München seit 2021 am PATHOS theater für die Bereiche Disposition, Controlling, Nachhaltigkeit und Ticketing angestellt - und arbeitet nebenher an der Bayerischen Staatsoper als Lichtinspizientin. Ihren Drang nach neuem Wissen stillt sie derzeit mit der Weiterbildung zur "Transformationsmanagerin Nachhaltige Kultur" des Aktionsnetzwerkes Nachhaltigkeit in Kultur und Medien.

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