Wochenrückblick #16/24

70 Prozent allein in Sodom und Gomorra

Veröffentlicht am 20. Apr 2024

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Wochenrückblick #16/24

70 Prozent allein in Sodom und Gomorra

Veröffentlicht am 20. Apr 2024

Sexuelle Übergriffe, Diskriminierung, Machtmissbrauch: Wie schwindelerregende Zahlen einer neuen Studie anhaltend desaströse Zustände an der HMTM in München aufdecken, warum die Freie Szene in Niedersachsen unter Schock steht - und weshalb hinter einem Wechsel in Würzburg mehr stecken könnte als angenommen.

"Am Theater herrscht halt ein rauer Ton - da muss man sich ein dickes Fell zulegen."
"Natürlich putzt dich die Regie runter, das ist ja normal."
"Wenn du das nicht abkannst, dann hast du im Theater eh nichts zu suchen."

Na, kennt Ihr solche Sätze auch noch? Mir sind sie im Lauf des Studiums und in meinen ersten Bühnenjahren regelrecht eingeimpft worden - wie so vielen anderen Berufsanfänger*innen auch. Doch zum Glück hat sich der Wind inzwischen gedreht - wie heißt es so schön beim ensemble-netzwerk: "Kill the Theaterfolklore"! Immer mehr Bühnenschaffende, Studierende und Auszubildende lassen sich Machtmissbrauch und Grenzüberschreitungen nicht mehr gefallen und gehen aktiv dagegen vor.

Laut werden 1: Gegen Machtmissbrauch an der "mut"

Wie wichtig das ist, zeigen die aktuellen Nachrichten aus der bayerischen Landeshauptstadt: An der Münchner Hochschule für Musik und Theater finden nach Aussage von Präsidentin Lydia Grün bis heute "Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierte Grenzüberschreitungen" statt. Grün bezieht sich dabei auf eine aktuelle Studie über das Machtgefälle zwischen Studierenden und Lehrenden, die in einem erschreckenden Bericht des SPIEGEL vorgestellt wird. 70 Prozent der Befragten haben darin angegeben, in mindestens einer Situation Machtmissbrauch erlebt zu haben; 50 Prozent erinnern sich sogar an vier solche Ereignisse. Darunter fielen neben destruktiver Kritik und dem Bloßstellen von Personen auch das Übergehen von Zuständigkeiten oder das Verbreiten von Gerüchten. Körperliche und psychische Gewalt mussten rund zehn Prozent der Studierenden erleben. Grün will nun durch einen Sieben-Punkte-Plan ein "sicheres Umfeld" an der Hochschule schaffen, unter anderem durch verpflichtende Fortbildungen für Mitarbeitende.

Laut werden 2: Neue Aktion der "VIELEN" reagiert auf Rechtsruck

Laut gegen Nazis positioniert sich das Bündnis DIE VIELEN. Mit dem Projekt SHIELD & SHINE ruft die Organisation zu neuen Aktionen und Protestveranstaltungen auf - mit direktem Bezug auf die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Politik. So heißt es in der nun veröffentlichten Erklärung: "Es ist an der Zeit, uns gegen Menschenverachtung und die Zerstörung unserer demokratischen Kultur zu stellen."

"Fehler gemacht und Vertrauen verspielt": LOT-Theater macht dicht

Paukenschlag in Braunschweig: Das traditionsreiche LOT-Theater hat die Einstellung seines Betriebs bekanntgegeben - aufgrund von Insolvenz und fehlender Förderung sei eine Weiterführung der Spielstätte nicht möglich. Im Hintergrund scheint es gewaltig zu brodeln, wie man dem Statement auf der Website entnehmen kann: "In der Vergangenheit wurden seitens der Führung [...] Fehler gemacht und Vertrauen verspielt." Der NDR berichtet von dem Schock, den die Nachricht in der Theaterszene ausgelöst hat. So spricht das bundesweite Netzwerk Freier Theater von einem "schweren Schlag für die Freien Darstellenden Künste in Niedersachsen" und fordert "die Kulturpolitik in Stadt und Land dringend auf, Verantwortung zu übernehmen [...]."

"Bedeutung für die Kulturstadt Hamburg": Geld für das Allee Theater

In Hamburg hat man diese Verantwortung schon übernommen: Der NDR hat erfahren, dass das Allee Theater in Altona von der Stadt 390.000 € erhält, um den geplanten Umbau stemmen zu können. Das Haus soll damit modernisiert und barrierefrei werden.

Bis 28 in trockenen Tüchern: Aufatmen in Dessau

Und auch in Dessau gibt es eine kurze Verschnaufpause im zähen Ringen um das liebe Geld: Die Finanzierung des Anhaltischen Theaters ist offiziell bis 2028 gesichert. Der MDR berichtet, dass der jährliche Zuschuss-Bedarf der Stadt kontinuierlich auf 17 Millionen Euro steigen wird; weitere Gelder stellt das Land zur Verfügung.

Leitung: Würzburger Wechsel und Karlsruher Kompetenz

  • Markus Trabusch wird seinen 2026 auslaufenden Intendanz-Vertrag am Mainfranken Theater nicht verlängern. Offiziell verzichtet er laut dem Magazin Crescendo aus "Gründen der persönlichen Lebensplanung" auf weitere Spielzeiten in Würzburg. Doch scheint sich auch hier mehr hinter den Kulissen abzuspielen: Nach einem Bericht der Mainpost - leider nur hinter einer Paywall zu lesen - hatte der Personalrat zuvor heftige Kritik an Trabuschs Umgang mit Mitarbeitenden geübt.
  • Am Badischen Staatstheater Karlsruhe hat der Verwaltungsrat den Vertrag des Geschäftsführenden Direktors Johannes Graf-Hauber bis 2030 verlängert; zugleich wurde er vom Land Baden-Württemberg zum Kaufmännischen Intendanten ernannt. Kunstministerin Petra Olschowski (Bündnis 90/Die Grünen) begründete diese Entscheidung unter anderem mit Graf-Haubers Kompetenz und großem Engagement, die das Haus erfolgreich durch schwierige Zeiten geführt hätten.

Theater-Oscars und -Orden

  • In London wurden in dieser Woche mit den Olivier Awards die "Theateroscars" verliehen. Laut dem Portal "Official London Theatre" konnte das Musical "Sunset Boulevard" mit Tom Francis und Nicole Scherzinger in den Hauptrollen die meisten Trophäen abräumen. Als bester Schauspieler wurde Mark Gatiss - hierzulande vor allem als Mycroft Holmes in "Sherlock" bekannt - im Stück "The Motive And The Cue" ausgezeichnet; zur besten Schauspielerin wurde Sarah Snook für ihre Rolle in "The Picture Of Dorian Gray" gekürt. Auch ein in der deutschen Theaterlandschaft bekanntes Gesicht war unter den Gewinnern: Dramatiker Simon Stephens wurde für seine "Vanya"-Adaption am Duke Of York´s Theatre ausgezeichnet.
  • Altmeisterin Elfriede Jelinek darf sich über eine besondere Ehre freuen: Nach einem Bericht von Die Presse wurde sie in den renommierten französischen Kulturorden Ordre des Arts et des Lettres aufgenommen. Einer der Gründe: Ihr Werk trage "immer zur Freiheit bei und am meisten zur Freiheit der Schwächsten". Jelinek, die eigentlich nur selten in der Öffentlichkeit auftritt und Ehrungen meistens ablehnt, sprach in ihrer Dankesrede über ihre langjährige Beziehung zur französischen Sprache.

Abschied

  • Das letzte lebende Mitglied des legendären "Klimbim"-Ensembles hat sich für immer verabschiedet: Wie in der WELT nachzulesen ist, ist Schauspieler Wichart von Roëll im Alter von 86 Jahren verstorben. In den 70er Jahren erlangte er durch seine Rolle als schrulliger preußischer Militaristen-Opa in der Kultshow Bekanntheit. "Klimbim" gilt heutzutage als "Mutter aller deutschen Comedy-Shows".
  • Die deutsche Synchronbranche ist um eine markante Stimme ärmer: Eckart Dux ist mit 97 Jahren verstorben. Dux war seit Jahrzehnten in der Branche tätig und lieh unter anderem Anthony Perkins, Steve Martin und Fred Astaire seine Stimme. Ihm verdanken Zuschauer*innen hierzulande nicht nur den Satz "Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert" aus der Serie "Das A-Team", sondern auch Ian McKellens deutsche Stimme des Gandalf in der "Hobbit"-Trilogie. Ein Nachruf findet sich unter anderem beim SPIEGEL.
  • Das Theater Altenburg Gera trauert um seinen langjährigen Technischen Direktor Thomas Stolze, der nun mit 68 Jahren nach längerer Krankheit gestorben ist. Dreißig Jahre lang - von 1987 bis 2017 - lenkte er die technischen Geschicke am Haus, stets nach der Devise: "Der Lappen muss hoch."
  • Ein großer Mäzen der deutschen Kulturlandschaft weilt nicht mehr unter uns: Bernhard Freiherr von Loeffelholz ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Ein Nachruf um seine Verdienste für die Unterstützung und Förderung von Kultur findet sich bei dem von ihm mitbegründeten Europäischen Zentrum der Künste HELLERAU.
  • Schauspieler Warwick Davis, vielen durch seine Rollen in "Star Wars" und "Harry Potter" bekannt, trauert um seine Ehefrau: Schauspielerin Samatha Davis wurde nach einem Bericht von Focus nur 53 Jahre alt. Die beiden hatten sich 1988 bei gemeinsamen Dreharbeiten kennengelernt und gründeten später die Wohltätigkeitsorganisation "Little People UK", die sich für die Belange von Menschen mit geringer Körpergröße einsetzt.

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