Das Finale ist noch meilenweit entfernt!
Langsam fällt der Vorhang für diese Saison. Da lässt das eine oder andere Haus noch rasch frohe Kunde verbreiten, dass die Auslastungszahlen wieder auf dem Stand "vor Corona" seien, so etwa die Komische Oper Berlin.
Alles also gar nicht so schlimm, hier gibt’s nichts zu sehen, kehren wir zurück zur alten Normalität… Zur alten Normalität? So schnell kann der Vorhang gar nicht fallen, denn das strukturelle Gespenst Missbrauch will noch schnell seinen Auftritt bekommen! Bedauerlich nur: Das Finale ist noch meilenweit entfernt.
Haarsträubende Unzulänglichkeiten
Wir haben diese Woche also: eine nichtrepräsentative Umfrage unter Bühnenschaffenden von ARD und rbb - auch wir hatten diese Umfrage unter unseren Mitgliedern verbreitet - die ergab, dass 90% der teilnehmenden Personen bereits persönlich mit Machtmissbrauch konfrontiert waren. Die auch die Situation am Gorki Theater wieder in den Blick nahm (wir berichteten) und auf haarsträubende Unzulänglichkeiten in der Aufarbeitung hindeutet.
Angeblich gab es eine Mediation durch die Themis Vertrauensstelle - diese lässt aber mitteilen, dass sie gar keine Mediation durchführe. Der damalige Kultursenator Klaus Lederer hat keine Akteneinsicht mehr, die neue Kulturverwaltung will die Arbeit des alten Kultursenators nicht mehr kommentieren... Alles auf tagesschau.de und beim ARD Mittagsmagazin nachzulesen und -sehen, die auch ein Schlaglicht darauf werfen, dass es in befristeten Arbeitsverhältnissen möglicherweise nicht ganz so einfach ist, ohne tarifrechtlich sicheres Netz die Stimme gegen Mißbrauchssituationen am Arbeitsplatz zu erheben.
Zynisch vielleicht, dass Simon Strauß in der FAZ konstatiert: "[W]enn ein Ensemble nicht den Mut aufbringt, den erfahrenen Machtmissbrauch Einzelner gemeinsam zur Anzeige zu bringen, kann es auch keine Veränderung erhoffen." Und irgendwie fast rührend, dass der Deutsche Kulturrat nun auch einen Verhaltenskodex für den gesamten Kulturbereich erarbeiten möchte (auch hierüber berichteten wir bereits). Immerhin vor Peniskanonen à la Rammstein werden wir diese Woche verschont.
Massenentlassungen am Landestheater Schwaben
Auch folgende gewagte These stammt aus dem oben zitierten FAZ-Artikel: "Machtausübung, ohne dass sich irgendjemand verletzt, gemaßregelt oder missverstanden fühlt und dieses Gefühl semantisch zu seinen Gunsten einordnet, ist kaum vorstellbar. Das macht den Sachverhalt nicht besser oder schlechter, es rückt ihn nur in ein realistisches Licht." Was für eine Überleitung zur nächsten Meldung!
Denn wie "verletzt, gemaßregelt oder missverstanden" werden sich diejenigen Personen fühlen, die dem Ensemble des Landestheaters Schwaben ab der Spielzeit 24/25 nicht mehr angehören? Und wieviel schwerer mag es sein, solche Gefühle öffentlich zu äußern, wenn im Tarifvertrag die "Nichtverlängerung" fest verankert ist? Der Merkur also berichtet: "Auf der Bühne wird dann nach aktuellem Kenntnisstand niemand mehr vom derzeitigen Ensemble zu sehen sein."
Tarifverhandlungen sind kein Ponyhof, Unterschlagung aber auch nicht
Vielleicht doch statt Kodizes zu entwickeln lieber am Tarifvertrag schrauben? Könnte ja auch helfen, oder nicht? Aber Tarifverhandlungen sind auch kein Ponyhof: "Wir gehen davon aus, dass die nächste Spielzeit ruckelig startet", sagt Lisa Jopt, Präsidentin der GDBA, im Theapolis-Interview, denn diese Woche ist eine Einigung zur Arbeitszeitregelung im TV-Bühne endgültig gescheitert. Die Pressemitteilungen von Deutschem Bühnenverein einerseits und GDBA, VdO sowie BFFS andererseits lesen sich jedenfalls sehr unterschiedlich.
Lassen wir es jetzt ein bisschen menscheln: Was kosten wohl "Umzüge, Hotelübernachtungen, sowie Flugzeug- und Hubschrauberflüge"? Offenbar 126.483 Euro. Diese Summe hatte der ehemalige Intendant des Opernhauses von Florenz Alexander Pereira mit der Firmenkreditkarte bezahlt, nun wurde das Geld von der Florentiner Polizei beschlagnahmt. Missbrauch liegt auch hier in der Luft.
Tränen und Sekt im DT, Nüchternheit in Hannover
Und endlich verlassen wir die dunkleren Sphären, denn im Deutschen Theater flossen Tränen und Sekt, als es sich von seinem langjährigen Intendanten Ulrich Khuon verabschiedete. "Ein Saal schluckt mit. Und ward dann väterlich getröstet von Khuons Dankesworten, in denen er einmal mehr das Vertrauen und die Angewiesenheit aufeinander feierte, all das Lob des Abends an sich abperlen ließ und an seine über 300 Mitarbeiterschaft weiterleitete." Schön!
Ein deutlich prosaischerer Abschied kündigt sich in Hannover an, dessen Hintergründe nun doch wieder im Dunkel verschwimmen. Laura Berman beendet ihre Intendanz frühzeitig um "sich neuen Aufgaben zu widmen" zum Ende der Spielzeit 2024/25. Mehr gab es dazu nicht zu erfahren.
Und wo wir schon in Niedersachsen sind: 29 Musiker*innen bangen bei den Lüneburger Symphonikern um ihren Job, weil die finanziellen Rahmenbedingungen unklar sind und zu fürchten ist, dass die Musiksparte am Theater Lüneburg mittelfristig der Vergangenheit angehören könnte. Daher sind sie auf die Straße gegangen und haben unter dem Slogan "Orchester im Herzen des Theaters, Theater im Herzen der Stadt Lüneburg" auf die Situation aufmerksam gemacht.
Positives zum Abschluss:
Über den Opus Klassik ist schon viel gehöhnt worden nun stehen wieder Preisträger*innen fest, auch in den Kategorien "Innovationspreis Nachhaltigkeit", "Innovatives Hörerlebnis" oder "Editorische Leistung". "Instrumentalist:in des Jahres" ist übrigens die Geigerin Anne Sophie Mutter geworden.
Das Land NRW schüttet für 7 Theater beinahe 7 Millionen Euro im Rahmen des Programms "Neue Wege" aus. Gratulation an die Kolleg*innen in Bielefeld, Bonn, Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen, Mülheim und Oberhausen, die nun innovative Projekte umsetzen und dem Publikum ein möglichst vielfältiges Programm bieten können!
Der Retzhofer Dramapreis geht dieses Jahr an Leonie Lorena Wyss für ihr Stück "Wie von Mutterhand". Gratulation!
Unbändig stolz sind wir aber, dass der Preis für junges Publikum auch an unsere Theapolis-Kollegin Marisa Wendt ging! Hoch die Tassen!