Wochenrückblick #28/24

Rutsch mal ein Stückl, Christus braucht ein Makeover

Veröffentlicht am 13. Jul 2024

Ein Mann steht nachdenklich vor einem "Jesus"-Graffitti. Foto von Gift Habeshaw <a href="https://unsplash.com/de/fotos/mann-schaut-auf-die-rechte-seite-WSvV_bL2-qc" target="_blank" rel="noopener">auf Unsplash</a> © Ein Mann steht nachdenklich vor einem "Jesus"-Graffitti. Foto von Gift Habeshaw auf Unsplash © Ein Mann steht nachdenklich vor einem "Jesus"-Graffitti. Foto von Gift Habeshaw auf Unsplash
Wochenrückblick #28/24

Rutsch mal ein Stückl, Christus braucht ein Makeover

Veröffentlicht am 13. Jul 2024

Warum in Oberammergau das Drama um die Passionsspiele fast überpassionierte Ausmaße annimmt, weshalb zwei Theaterkünstler*innen die Willkür der russischen Justiz zu spüren bekommen und wie die toten Dichter in Bad Vilbel mit einem blauen Auge davonkommen.

Was für ein Theater!

Das Drama um die Leitung der Oberammergauer Passionsspiele geht weiter. Erst konnte Christian Stückl wegen mangelnder Besuchernachfragen sein eigenes Stück nicht auf die Bühne bringen (Theapolis berichtete), dann musste er mit ansehen, wie trotz seiner Bewerbung zum ersten Mal in der 400-jährigen Geschichte der Passionsspiele eine Ausschreibung stattfand - und jetzt hat sich auf eben jene auch noch einer seiner engsten Vertrauten beworben. Abdullah Karaca sei "so etwas wie Christian Stückls Ziehsohn. Stückl hat ihn entdeckt und zum zweiten Spielleiter aufgebaut", heißt es beim BR.

Stückl jedoch denkt gar nicht daran aufzuhören. Er kämpft um eine weitere Leitungssaison und wird nicht müde zu betonen, wie viel ihm die Passionsspiele bedeuten. Das Stück um das Leiden und Sterben Jesu Christi sei für ihn „überlebenswichtig“. In seinen letzten vier Inszenierungen hat er nicht nur dafür gesorgt, dass auch verheiratete Frauen auf der Bühne stehen dürfen und antisemitische Textpassagen und Bühnenbilder verbannt wurden, sondern er hat sich auch dafür eingesetzt, dass nicht nur Angehörige der katholischen und evangelischen Kirche mitwirken dürfen.

Abdullah Karaca als Muslim wäre da doch nur folgerichtig. „Für mich wäre es ein Traum und eine große Ehre, die Passionsspiele zu leiten“, sagt Karaca. Er würde gerne einen Jesus inszenieren, der für die Gemeinsamkeit aller Menschen kämpft, egal aus welcher Schicht und von welcher Herkunft. Ob nun der Altmeister oder der „Ziehsohn“ den Jesus inszenieren darf, wird sich zeigen. Auf jeden Fall bleibt es spannend.

Kunst darf alles. Ohne Konsequenzen. Außer in Russland.

Manch eine*r wird sich jetzt denken, dass das nichts Neues ist, doch im Fall Jewgenija Berkowitsch (Theaterregisseurin) und Swetlana Petrijtschuk (Dramatikerin) übertrifft sich die Willkür der russischen Justiz mal wieder selbst. Bereits vergangenes Jahr wurden die beiden wegen „Rechtfertigung des Terrorismus“ festgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt (Theapolis berichtete). Grund dafür war ihr preisgekröntes Stück „Finist – Heller Falke“, in dem sich russische junge Frauen der Liebe wegen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ anschließen – wohlgemerkt aber wieder nach Russland zurückkehren und verurteilt werden.

„Beide Angeklagten wiesen die Vorwürfe zurück. Sie argumentierten, das Theaterstück aufgeführt zu haben, um sich gegen Terrorismus zu wenden – und nicht, um ihn zu unterstützen. Für Terroristen habe sie nichts als Ablehnung und Abscheu übrig, sagte Berkowitsch in dem Verfahren“, heißt es im SPIEGEL. Es half alles nichts. Die beiden Theatermacherinnen wurden zu sechs Jahren Haft verurteilt. Dass Berkowitsch zu den bekannten Kritikern des russischen Angriffskrieges zählt und mit einem Plakat mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“ demonstrierte, hat damit sicher nichts zu tun.

Fliegende Interims-Oper für Kassel

Das Opernhaus des Staatstheater Kassels muss ab der Spielzeit 25/26 saniert werden. Für Land und Stadt war sofort klar, dass eine Interimsspielstätte her muss. Und zwar neu. Sowohl die Kosten für die Sanierung als auch die Errichtung für der Ausweichspielstätte werden von dem Land Hessen zu 80 Prozent übernommen. Die restlichen 20 Prozent übernimmt die Stadt. Das besondere an der Interimsstätte soll sein, dass sie, nachdem das Staatstheater die fünf Jahre darin überbrückt hat, komplett demontiert und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden kann. „Angesichts vieler sanierungsreifer Spielstätten allein in Deutschland ergebe sich ein großer Markt für den Weiterverkauf“, meint Musik heute und hat wahrscheinlich recht damit.

Bad Vilbel: Premiere trotz eingestürzter Burg

Apropos sanierungsbedürftig. Bei der zweiten Hauptprobe von „Der Club der toten Dichter“ gab es bei den Burgfestspielen Bad Vilbel ein solch starkes Unwetter, dass Teile der Wasserburg einstürzten. Die Sanierung des Mauerabschnittes beginnt bereits in der kommenden Woche, die Premiere jedoch kann wie geplant stattfinden. Vilbeler Bürgermeister Sebastian Wysocki (CDU) sagt gegenüber der Hessenschau: „Wir sind ja eigentlich normalerweise bestrebt, dass wir außerhalb der Saison hier arbeiten und nicht während der Spiele“. Doch Sicherheit geht vor. Diese ist übrigens noch immer sowohl für alle Mitarbeitenden, als auch für Gäst*innen gegeben.

Leitung

Die Theater-Biennale in Venedig bekommt einen Hollywoodstar als künstlerischen Leiter. 2025 und 2026 wird der 68-jährige Willem Dafoe das Amt übernehmen. Deutschlandfunk gegenüber sagte er, „er sei überrascht und dann glücklich gewesen, gefragt worden zu sein.“

Ausgezeichnet!

Der Fördervereins-Preis des Mainfranken Theaters Würzburg geht an den Schauspieler Tom Klenk, der sich „in seinem bisherigen Wirken durch exzellente künstlerische Leistung ausgezeichnet hat“, so auf nachtkritik zu lesen. Der Preis ist mit 3.000 € dotiert und ehrt seit 1995 Künstler*innen, "die sich in ihrem bisherigen Wirken an diesem Haus durch exzellente künstlerische Leistungen ausgezeichnet haben".

Abschied

  • Der russische Komponist Alexander Knaifel ist im Alter von achtzig Jahren verstorben. Die FAZ widmet ihm einen Nachruf.
  • Schauspieler Wolf-Dieter Tropf ist, wie erst jetzt bekannt wurde, bereits im April 24 gestorben, berichtet nachtkritik. Er wurde 82 Jahre alt.
  • Shelley Duvall, bekannt als Wendy Torrance aus Stanley Kubricks Verfilmung von Stephen Kings „The Shining“, verstarb im Alter von 75 Jahren. Den US-Magazinen Variety und The Hollywood Reporter zufolge starb Duvall im Schlaf an den Folgen einer Diabeteserkrankung in ihrem Haus im US-Bundesstaat Texas. Mehr dazu bei ZEIT online.

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