Es ist und bleibt ein spannendes Match. Seit Anfang des Jahres 2022 fliegen zwischen den Künstler*innengewerkschaften und dem Deutschen Bühnenverein die Tarifverhandlungs-Bälle hin und her - und gerne auch mal ins Aus.
Im Januar waren schon die Tarifverhandlungen zum TV-Covid 3.0 zwischen der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA), der Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles (VdO) und dem Deutschen Bühnenverein zunächst ergebnislos abgebrochen worden, bevor es schließlich doch noch zu einer Einigung kam.
Anfang März startete dann die GDBA eine Online-Petition zur deutlichen Erhöhung der Mindestgage an deutschen Theatern und machte dort erstmals ihre Forderungen bereits im Vorfeld der Verhandlungen zum NV Bühne einer breiten Öffentlichkeit publik. Über 10.000 Unterzeichnende hat die Petition immerhin gefunden. Das ist eine beachtliche Zahl, angesichts der doch recht übersichtlichen "Theater-Bubble".
Nun vermelden die Gewerkschaften erneut: "Tarifgespräche enden ohne Einigung."
Wieder einmal Bedauern auf beiden Seiten. Was war passiert?
Der Bühnenverein habe bei den Verhandlungen am 09. Mai "den Gewerkschaften einen Fahrplan vorgestellt, mit dem die Einstiegsgage über die kommenden drei Spielzeiten kontinuierlich angehoben worden wäre", verkündet er in seiner Pressemitteilung vom selben Tag. Zudem "wurde eine daran orientierte Erhöhung der Gagen für Gäste, die Dynamisierung der Einstiegsgage ab der vierten Spielzeit und die Berücksichtigung der Beschäftigungszeit bei der Gagenhöhe angeboten." In Anbetracht der gescheiterten Verhandlungen und der bereits fortgeschrittenen Haushaltsplanungen gebe er nun seinen Mitgliedstheatern "die normative Empfehlung, den künstlerisch Beschäftigten ab der kommenden Spielzeit eine Gage von mindestens 2.500,- Euro im Monat zu zahlen."
(Hier sei die Zwischenfrage gestattet, warum der Bühnenverein, wenn dies doch anscheinend möglich ist, nicht schon viel früher einmal normative Empfehlungen abgegeben hat - und warum dann nicht gleich in fairer Höhe?)
Gefordert hatte die GDBA ursprünglich 3.100€, war von dieser Forderung jedoch abgewichen und dem Bühnenverein im Laufe der Verhandlungen mehrmals entgegengekommen, während sich "die Gegenseite wenig bewegt" habe, wie es wiederum in der GDBA-Pressemitteilung heißt. "Nicht einmal die von der GDBA zuletzt geforderte Zahl von 2.715€, die lediglich der proportionalen Erhöhung der Mindestgage im Verhältnis zur proportionalen Erhöhung des Mindestlohns entspricht, wurde seitens des DBV akzeptiert." Zuletzt habe der DBV 2.550€ angeboten.
2.550€ - das ist noch nichtmal Mindestlohn
2.550€, immerhin 550€ mehr als bisher, klingt doch ad hoc erstmal gar nicht so schlecht - aber: Die GDBA hat durchaus nachvollziehbare Gründe, sich mit diesem Angebot nicht zufrieden geben zu wollen. In einem extra dazu erstellten FAQ auf der GDBA-Website heißt es u.a.: "Als Gewerkschaft ist es unsere Aufgabe das zu fordern, was unseren Mitgliedern zusteht und nicht das zu fordern, was einer 'gefühlten' Verhältnismäßigkeit entspricht."
Und eine Mindestgage von 2.550€ würde noch immer nicht dem gesetzlichen Mindestlohn gerecht, zumindest nicht nach den Berechnungen der GDBA, wie die folgende Grafik verdeutlichen soll:
In ihrer Pressemitteilung erläutert die GDBA ihre Berechnungen wie folgt:
"Die NV Bühne-Beschäftigten fallen unter das Arbeitszeitgesetz, das eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden erlaubt. Hinzu kommen 4,5 % Abgabe an die Bayerische Versorgungskammer - also Geld, das die Beschäftigten nicht ausgeben können, weshalb es nicht als Mindestlohn angerechnet werden kann. Demnach hätten die Beschäftigten laut GDBA-Berechnung einen Anspruch auf 2.600,30€ bundesweit und in Berlin auf 2.816,98€."
Dass der Bühnenverein seine Pressemeldung noch am selben Tag der gescheiterten Verhandlungen veröffentlicht hat, könnte die Vermutung nahelegen, dass er sich von vornherein festgelegt, möglicherweise auch mit einem solchen Ausgang der Verhandlungen gerechnet hatte - und nicht beabsichtigt, den Künstler*innengewerkschaften diesbezüglich weiter entgegenzukommen.
Lieber eine gute Strategie statt Mutmaßungen
Die GDBA mutmaßt in ihrer Pressemitteilung, "die Angst, Theater würden kaputtgehen" führe zu dem niedrigen Angebot des DBV, und GDBA Präsidentin Lisa Jopt warnt davor, dass das Narrativ "die Theater gingen kaputt, wenn die künstlerisch Beschäftigten angemessen bezahlt würden, [...] eine Weichenstellung im Kampf gegen prekäre Beschäftigung für ein wichtigen Teil der Beschäftigten im NV Bühne" verhindere. Nur bringen Mutmaßungen einen leider selten weiter. Gespräche mit dem großen Tarifausschuss könnten helfen - sofern dies von beiden Seiten gewünscht und ermöglicht wird.
Einigkeit herrscht immerhin dahingehend, "dass die Mindestgage absehbar deutlich angehoben werden muss", wie Bühnenverein-Geschäftsführerin Claudia Schmitz sagt, "wir können dies nur nicht in dem Tempo gewährleisten, das von den Gewerkschaften gefordert wird.“
An den gesetzlichen Mindestlohn müssen die Gagen so oder so angepasst werden, um nicht in die Illegalität abzurutschen. Hier bleibt die Frage der Auslegung wohl weiter zu klären, und da muss die GDBA jetzt am Ball bleiben und gute Argumente vorbringen.
Die VdO hält sich übrigens - obwohl offiziell Verhandlungspartner auf Seiten der GDBA - in diesem ganzen Szenario vornehm zurück. Keine Pressemeldung auf der VdO-Seite, keine Äußerung dazu, was die Gewerkschaft der Opern- und Tanzensembles von dem Angebot des Bühnenvereins hält und ob sie die Forderungen der GDBA unterstützt.
Dennoch sieht es so aus, als käme die GDBA am Verhandlungstisch nun nicht mehr weiter.
Was ist also zu tun? Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitermachen? Auf jeden Fall. Aber dafür braucht es jetzt eine sinnvolle Strategie - und vor allem: Direkte Fragen, ehrliche Antworten, eine offene Verständigung. Weitere Gespräche sind für den 01. Juni 2022 geplant.
Und eins ist klar - um die Sport-Allegorie noch einmal aufzugreifen: Das wird kein Sprint, sondern ein Marathon.