Theapolis stellt vor: Die GDBA Präsidentschaftskandidatinnen

Nathalie Senf: Die Situation zeigt auf, was schon seit Längerem im Argen liegt

Veröffentlicht am 17. Dez 2020

Nathalie Senf(c)André Leischner © Nathalie Senf(c)André Leischner © Nathalie Senf(c)André Leischner
Theapolis stellt vor: Die GDBA Präsidentschaftskandidatinnen

Nathalie Senf: Die Situation zeigt auf, was schon seit Längerem im Argen liegt

Veröffentlicht am 17. Dez 2020

Die Theapolis-Mitglieder Nathalie Senf und Lisa Jopt kandidieren aktuell beide als Präsidentinnen für die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger - GDBA. Bis zur Wahl im Mai 2021 gibt Theapolis ihnen hier einmal im Monat Raum, sich zu verschiedenen kulturpolitischen Themen zu äußern - und Euch die Gelegenheit, die beiden und ihre Positionen ein wenig kennenzulernen. Wir starten heute mit dem Thema Kurzarbeit.
Theapolis: Stell Dich bitte einmal kurz vor.
Nathalie Senf: Seit ich lebe, habe ich gerne gesungen, und gerade als Kleinkind brachte ich damit meine Familie an den Rand der Verzweiflung. Dass man damit als Opernsängerin auch Geld verdienen kann, hat sich mir erst relativ spät erschlossen. Ich teile gerne mein Wissen als Gesangspädagogin und Theaterpädagogin, aber auch als Gewerkschafterin, denn gerade auf diesem Gebiet ist Wissen Macht. Mit meinem Mann habe ich meine Lebensliebe gefunden und seine zwei Töchter und seine Enkeltochter sind mir ans Herz gewachsen. Durch sie fühle ich meine Verantwortung den nächsten Generationen gegenüber. Ich möchte nicht nur für uns, sondern vor allem für sie unsere Lebensbedingungen verbessern und nachhaltig gestalten helfen.

Inwieweit hat die Pandemie Dich und Deine Arbeit getroffen? Bist oder warst Du während dieser Zeit selbst in Kurzarbeit?
Im März war ich gerade als Mutterschutz- und Elternzeitvertretung engagiert. Wir befanden uns direkt vor der Endprobenphase. In einer Probe, die der erste Stückdurchlauf werden sollte, erfuhren wir dann, dass es vorerst die letzte Probe sein würde. Wie für viele in dieser Situation fühlte sich das an, als wären wir in voller Fahrt vor eine Wand gefahren.
Es dauerte ein paar Tage, bis ich die Situation erfassen konnte. Letztendlich hatte ich Glück, denn ich war gerade befristet beschäftigt und wurde selbstverständlich auch in die Kurzarbeit mit einbezogen. So konnte ich vom Tarifvertrag COVID - NV Bühne profitieren, der eine großartige Leistung der Tarifkommission der GDBA ist. Danke dafür! Ende Juni endete dieser Vertrag. Seitdem bin ich wieder ausschließlich freiberuflich tätig. Gesangsunterricht habe ich teilweise in den virtuellen Raum verlegen können. Die Theaterpädagogik ist seit März quasi nicht durchführbar. Im September und Oktober konnte ich einige wenige Termine durchführen sowie zwei Konzerte singen. Alles Übrige ist erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben oder abgesagt.

Welche Schwachstellen gibt es Deiner Meinung nach in der Handhabung von Kurzarbeit an den Theatern?
Ein Problem ist, dass Kurzarbeit nicht an allen Theatern rechtlich möglich ist.
Manche Träger von Theatern haben sich gegen Kurzarbeit entschieden. An den übrigen ist die Handhabung leider sehr unterschiedlich. Zum Beispiel was die Bezahlung von Gästen betrifft. Es ist sehr schwierig für Gäste herauszufinden, welche Rechte sie gegenüber welchem Theater haben. Dafür müssen sie vieles abfragen: Wird Kurzarbeit angewendet? Mit wievielen Stunden für Darsteller*innen in meinem Bereich? usw... Wenn das Theater keine Kurzarbeit anwendet, muss oft eine Vereinbarung getroffen oder sogar geklagt werden, um überhaupt eine Bezahlung zu erhalten. Das ist mitunter mühselig und sehr aufreibend und absolut nicht akzeptabel. Ein weiteres Problem sind die Regelungen für Kurzarbeit von Seiten der Arbeitsagentur. In vielen Städten sehen sie vor, dass die geleistete Arbeit in Stunden berechnet wird, nicht in Prozent. Für unsere Branche - gerade für die darstellenden Künstler*innen - ist eine solche Berechnung aber sehr schwierig. Der TV COVID - NV Bühne für kommunale Theater sieht für darstellende Künstler*innen eine Zeit zur Aufrechterhaltung der persönlichen künstlerischen Leistungsfähigkeit zu Hause vor, sodass für diese Beschäftigungsgruppe eine "Kurzarbeit Null" nicht möglich ist. In der Regel sollen dafür 20% angesetzt werden. Jede weitere Probe muss also zusätzlich berechnet werden. Aber wieviele Stunden sind 20%? Und wieviel Prozent sind eine Stunde? Das sind Fragen, die sehr unterschiedlich beantwortet werden. Es ist sinnvoll eine Vereinbarung anzustreben, die zumindest diese Problematik für die Kurzarbeit regeln kann.

Wer sind die Verlierer-/ wer die Gewinner*innen in diesem Szenario - bzw. kann man von so etwas überhaupt sprechen?
Ich finde es nicht sinnvoll, von Gewinnern oder Verlierern zu sprechen. Für alle an Theatern Beschäftigten ist es schwierig. Diese Situation zeigt uns wie unter einem Brennglas auf, was schon längere Zeit im Argen liegt. Sie ruft uns auf, zu handeln und in unserem Sinne Dinge zu verändern. Und damit meine ich: uns alle. Ich hoffe sehr, dass aus der Dringlichkeit dieser Situation heraus sich langfristig mehr Menschen in den darstellenden Künsten für ihre eigenen Rechte und die Verbesserung ihrer eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen engagieren, sei es als Spartenvorstand, als Mitglied im Personal- oder Betriebsrat, als Teil einer Initiative oder eben in der Gewerkschaft.

Gibt es in Deinen Augen umsetzbare Alternativen zur Kurzarbeit?
Die beste Alternative für alle Beschäftigten wäre natürlich keine Kurzarbeit. Angesichts der andauernden Lage ist es aber klar, dass das für viele Träger nicht gehen würde. Ohne Kurzarbeit kämen unsere Theater in finanzielle Bedrängnis. Obwohl die Situation inzwischen nicht mehr neu ist, gibt es immer noch Theater, wo Probleme mit der Berechnung der Kurzarbeit bestehen oder bei der Einbeziehung von Gästen in diese. Hier bleibt den Einzelnen nur der Weg vor das Bühnenschiedsgericht. Die GDBA unterstützt ihre Mitglieder effektiv darin. Diese Krise zeigt auf, dass besonders freiberuflich tätige Künstler*innen durchs Raster fallen. Das liegt vor allem daran, dass sie hybriden Beschäftigungen nachgehen, also zeitweise selbstständig und dann wieder angestellt arbeiten. Dadurch greifen viele Hilfsprogramme nicht und auch das ALG I nur unter bestimmten Bedingungen. Wir müssen darauf hinarbeiten, diese Gruppe besser in das Sozialsystem einzugliedern. Dazu bedarf es einer umfassenden Reform. Hier müssen wir kurz- und langfristige Ziele verfolgen. Kurzfristig sollten wir schauen, wie wir die Bedingungen z.B. für ALG I noch weiter verbessern können. Langfristig halte ich persönlich das bedingungslose Grundeinkommen in dieser Hinsicht für eine vielversprechende Möglichkeit.

Was kann eine Interessenvertretung konkret dazu beitragen?
Die GDBA hilft vor allem über ihre Rechtsberatung. Auch in Zukunft sehe ich sie als einen ganz wichtigen Aspekt der gewerkschaftlichen Arbeit. Außerdem kann durch Wissensvermittlung viel erreicht werden und zwar in alle Richtungen: In die Politik, zu den Trägern und Theaterleitungen und natürlich unbedingt den Mitgliedern gegenüber. Durch Unterstützung in der Kommunikation mit Theaterleitungen oder Vermittlung zwischen Beschäftigten und Theaterleitung oder -trägern kann ebenfalls geholfen werden. Lobbyarbeit über möglichst vielfältige Wege ist darüber hinaus notwendig und hilfreich, sowohl was kurzfristige als auch langfristige Ziele betrifft. Ohne diese Lobbyarbeit würden auch die Novemberhilfen an uns Freiberufler*innen vorbei gehen, und die Überbrückungshilfe III hätte ebenfalls ihre Änderungen nicht erfahren.

Welche Lobbyarbeit meinst Du in diesem Fall konkret? Was genau ist da passiert von Seiten der GDBA? Und wo wir schon dabei sind: Die Regelungen der Hilfen gehen ja nach wie vor noch ziemlich an der Lebensrealität von Künstler*innen vorbei - für diejenigen, die eben mit diesem Hybrid-Modell (mal freischaffend, mal temporär angestellt oder unständig beschäftigt) leben, ist es schwierig bis unmöglich, Novemberhilfen zu beantragen - gibt´s dazu schon irgendwelche Gespräche oder gar Pläne mit den Verantwortlichen?
Die Tatsache, dass überhaupt Direktanträge für Soloselbstständige möglich sind ohne einen prüfenden Dritten, ist intensiver Lobbyarbeit zu verdanken, die von vielen Verbänden und Organisationen voran getrieben wurde. Auch dass "Mischbetriebe" (also eben hybride Beschäftigungsformen) überhaupt Berücksichtigung finden, ist dieser Lobbyarbeit zu verdanken. Die GDBA war vor allem über den Kulturrat involviert. Natürlich muss es hier noch weitere Verbesserungen geben. Klar ist aber: Lobbyarbeit lohnt sich.

Liebe Nathalie, vielen Dank für das Gespräch!

....und hier geht´s zum Interview mit Lisa Jopt.

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