Wochenrückblick #44/23

Schmierige Attacken, grassierender Hass und unübertroffene Bräsigkeit

Veröffentlicht am 3. Nov 2023

Foto von Taylor Rooney <a href="https://unsplash.com/de/fotos/%EA%B0%88%EC%83%89-%ED%98%B8%EB%B0%95-%EB%A7%8E%EC%9D%B4-L86gqddPTQs" target="_blank" rel="noopener">auf Unsplash</a> © Foto von Taylor Rooney auf Unsplash © Foto von Taylor Rooney auf Unsplash
Wochenrückblick #44/23

Schmierige Attacken, grassierender Hass und unübertroffene Bräsigkeit

Veröffentlicht am 3. Nov 2023

Wie Unbekannte in Wiesbaden ein Kunstblutbad anrichten, warum sich der deutsche Literaturbetrieb mit harschen Vorwürfe konfrontiert sieht, welche neuen Oeuvres die Salzburger Gerüchteküche uns kredenzt und weshalb die Stadt Erfurt ihre Gleichstellungsbeauftragte schasst.

"Trick" wegen mangelnder "treats" in Wiesbaden

Nach diesem gefühlt dreivierteljährigen Sommer macht sich jetzt doch allmählich Herbststimmung breit: Buntes Laub, Regen und Wind, kürzere Tage... und natürlich Halloween. Als ich 1996 in meinem 2.500-Einwohner-Dorf den ersten Versuch einer Halloween-Party mit anschließendem „trick or treat“ an den Haustüren der Nachbarn machte, dröhnte es mir auf gut Bayerisch entgegen: „Da kennt´s nach Amerikooh geh´n mit dem Schmarren!“ Heute ist Halloween im kulturellen Mainstream angekommen – mit eigenen Horrorfilm-Empfehlungen auf Netflix, vorgeschnittenen Plastik-Kürbissen und Kostümen im Discounter. In diesem Jahr hat sich sogar ein Theaterbetrieb einen „trick“ wegen mangelnder „treats“ eingehandelt: Wie das Portal Wiesbaden Aktuell berichtet, haben unbekannte Täter*innen die Hauswand des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden mit Kunstblut beschmiert. Ob den Schadensverursacher*innen bewusst ist, wie hoch der Kunstblut-Verbrauch einer deutschen Theaterbühne pro Jahr liegt?

"An Bräsigkeit nicht zu überbieten": Offener Brief von Schriftsteller*innen

Von Kunstblut zu realen blutigen Ereignissen - denn die gruseligen Nachrichten zum aktuellen Weltgeschehen tun ihr Übriges, um einen ganzjährig in herbstzeitliche Stimmung zu versetzen. Aktuellstes Beispiel: Der befürchtete Flächenbrand im Nahen Osten und seine Folgen für die Weltgemeinschaft. In dieser Woche hat sich nun eine große Zahl deutschsprachiger Schriftsteller*innen in einem Offenen Brief gegen das „an Bräsigkeit nicht zu überbietende Schweigen“ des Literaturbetriebs im Angesicht des aktuell grassierenden Antisemitismus gewandt. Mit Elfriede Jelinek, Herta Müller, Sibylle Berg, Rebekka Kricheldorf und Hartmut El Kurdi finden sich auch prominente Theaterautor*innen unter den Unterzeichneten.

Antisemitismus normalisiert: Intendant*innen distanzieren sich von „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“

An anderer Stelle wurden dafür Unterschriften zurückgezogen: Wie das Portal „Ruhrbarone“ berichtet, haben sich Barbara Mundel, Intendantin der Münchner Kammerspiele, und Michael Grosse, Generalintendant des Theaters Krefeld und Mönchengladbach, nach den Geschehnissen des 7. Oktober von ihrer Unterstützung der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ distanziert. Diese Initiative hatte sich 2020 gegen den Beschluss des Bundestages gewandt, der antisemitischen BDS-Kampagne keine staatlichen Gelder oder Räume zur Verfügung zu stellen. Mundel bezeichnete das Plädoyer auf Anfrage des Portals als „Teil einer Entwicklung, die israelbezogenen Antisemitismus normalisiert hat“.

Mutmaßliche Übergriffe in Erfurt: Gleichgestellungsbeauftragte beurlaubt

Im Fall der mutmaßlichen Übergriffe am Theater Erfurt (wir berichteten) ist die kommunale Gleichgestellungsbeauftragte Mary-Ellen Witzmann beurlaubt worden, wie der MDR erfahren hat. Sie hatte als Erste die Vorwürfe von sechs Sängerinnen gegen Theater-Mitarbeiter öffentlich gemacht, war aber von Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) wegen ihres eigenmächtigen Vorgehens geschasst worden. Die Stadtverwaltung hat inzwischen eine Berliner Anwaltskanzlei mit der Aufarbeitung der Vorwurfsfälle – von denen mindestens einer aktuellen Datums ist – beauftragt; auch der Personalrat des Theaters sei in die zuständige Kommission eingebunden. Kritik an Witzmanns Suspendierung kommt von der Linken, deren gleichstellungspolitische Sprecherin Karola Stange argumentierte, die Vorwürfen könnten nur gemeinsam mit Witzmann aufgearbeitet werden.

All We Need Is Money

Zwischendrin auch mal was Positives: Laut MDR soll die Kultur in Sachsen-Anhalt im kommenden Jahr rund 20% mehr Geld vom Land bekommen. Staats- und Kulturminister Rainer Robra (CDU) kündigte nicht nur an, die Grundfinanzierung der neun kommunal getragenen Häuser und Orchester anheben zu wollen, sondern auch die Zahl der Beschäftigten nicht mehr zum Diskussionsthema machen zu wollen. Die dürfte vor allem für das arg gebeutelte Harztheater – vormals Nordharzer Städtebundtheater – eine gute Nachricht sein.

Der Deutsche Tonkünstlerverband Berlin hat erstmals umfassende Honorarstandards für freies Musizieren und musikpädagogische Tätigkeiten veröffentlicht. In dem Leitfaden finden vor allem soloselbstständige Musiker*innen Richtwerte für eine faire Vergütung ihrer Tätigkeiten.

Salzburg Leaks und Linzer Loslassen

Nach dem Paukenschlag (auch hierüber berichteten wir) bei den Salzburger Festspielen in der vergangenen Woche brodelt die Gerüchteküche eifrig vor sich hin. Der WDR will nun erfahren haben, dass es konkrete Anwärter auf die „Jedermann“-Regie und die Titelrolle gibt. Schauspielchefin Marina Davydova soll den kanadischen Regisseur Robert Carsen und Schauspieler Philipp Hochmair – als einstiger „Einspringer“ für Tobias Moretti kein Unbekannter in Salzburg – verpflichtet haben. Bestätigen wollten die Festspiele diese Personalien aber nicht.

Wir bleiben bei überraschenden Nachrichten aus Österreich: Schauspieldirektor Stephan Suschke legt völlig unerwartet sein Amt am Linzer Landestheater nieder, wie Der Standard berichtet. Ausschlaggebend für seine Entscheidung seien persönliche Gründe; eine Entscheidung über seine Nachfolge soll schnellstmöglich getroffen werden.

Alte Häschen und junge Hüpfer

Am Donnerstag hat das Europäische Festival für junge RegieFast Forward“ am Staatsschauspiel Dresden begonnen. Sieben Frauen und Männer am Anfang ihrer Theaterlaufbahn konkurrieren bei diesem Wettbewerb um die Vergabe einer neuen Inszenierung am Haus. Nicht nur mit der internationalen Auswahl, auch mit den Themen Queerness, Klimawandel und Kolonisation präsentiert sich das Festival universell orientiert.

In Bremen gab es in dieser Woche nicht nur ein, sondern gleich zwei Wiedersehen mit Damen, die man nicht unbedingt auf Bühnenbrettern vermutet hätte: Ex-Pornostar Michaela Schaffrath (besser bekannt als „Gina Wild“) gibt am Bremer Boulevardtheater in „Das perfekte Geheimnis“ ihr Theaterdebüt, wie auf dem T-Online-Portal zu lesen war. Und „Wa(h)re Liebe“-Kultfigur Lilo Wanders spielt am Theater Bremen die Göttermutter Juno in der Operette „Orpheus in der Unterwelt“ - wie sie selbst im Interview kommentiert: „Ich bin immer auf der Seite der Frauen, in einem doppelten Sinn.“

„Kommissar 00 Schneider zur Preisverleihung bitte!“ Der Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen  geht in diesem Jahr an das Allround-Talent Helge Schneider, den Kulturministerin Ina Brandes als „Segen für die Kulturlandschaft“ bezeichnete. An Schauspieler Roman Mucha, derzeit am Schlosstheater Moers engagiert, wird der Förderpreis im Bereich Darstellende Kunst verliehen.

„I´ll Be There For You, When The Rain Starts To Pour...“

Für viele gehörte er schon selbst zum Freundeskreises dazu und war aus dem eigenen Wohnzimmer nicht mehr wegzudenken: Schauspieler Matthew Perry, der unnachahmliche Chandler Bing aus „Friends“, ist völlig überraschend im Alter von 54 Jahren gestorben. Die US-Sitcom wurde sein größter beruflicher Erfolg, privat hatte Perry immer wieder mit seiner Suchterkrankung zu kämpfen. In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung sprechen unter anderem seine ehemaligen „Friends“-Kollegen von einem „unfassbaren Verlust“. Zuletzt hatte man das Sextett bei der lange erwarteten Reunion auf Sky wiedervereint erleben können.

Der „coolste bayerische Striezi im TV“ weilt nicht mehr unter uns: Schauspieler Elmar Wepper ist mit 79 Jahren verstorben, wie der Bayerische Rundfunk mitteilte. Inspiriert von seinem älteren Bruder Fritz hatte Elmar Wepper seine Karriere im Theater und im Synchronstudio begonnen. In den Kult-Serien „Der Kommissar“, „Polizeiinspektion 1“ und „Irgendwie und Sowieso“ wurde er vor allem dem bayerischen TV-Publikum lieb und teuer. Seine Kinokarriere begann erst spät mit dem Überraschungserfolg „Kirschblüten – Hanami“ von Doris Dörrie.

Die Gesellschaft für Theatergeschichte trauert um ihren langjährigen Vorsitzenden Paul S. Ulrich. Der gebürtige US-Amerikaner widmete sich nahezu fünf Jahrzehnte lang der Geschichte des deutschsprachigen Theaterbetriebs vor Ende des Ersten Weltkriegs.

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