Wochenrückblick #9/22

Theater im schlechtesten Sinne des Wortes

Veröffentlicht am 26. Feb 2022

Waldemar Walczak © Waldemar Walczak © Waldemar Walczak
Wochenrückblick #9/22

Theater im schlechtesten Sinne des Wortes

Veröffentlicht am 26. Feb 2022

Schauspiel, Inszenierung, Schmierenkomödie, Dramaturgie. Drehbuch, Bühne, Statisten. Alles an sich Begriffe aus dem Theater, die in dieser fürchterlichen Woche aber vor allem Presseberichten zum russischen Überfall auf die Ukraine entstammen.

Die Arbeit an diesem Rückblick war von einem Gefühl der Irrelevanz begleitet, während der Google-Suchalgorithmus immer wieder Artikel über den Krieg zwischen Stadttheaterleitungswechsel und Opernkritiken spülte.

Und in der Tat war es natürlich alles Theater im schlechtesten Sinne des Wortes: Der Sechs-Meter-Tisch, Putins Fabulieren über einen Genozid der ukrainischen Regierung, Bilder von Busladungen angeblich flüchtender russischer Separatisten und eine Sitzung des russischen Sicherheitsrats, bei der irgendwas nicht stimmt (ein Continuity-Manager à la Hollywood, der auf Armbanduhren achtet, wäre hier hilfreich gewesen).

Auch in der nach Putins Drehbuch zerrütteten russischen Demokratie gibt es kritische Stimmen, häufig aus dem Kultursektor, die sich gegen den Angriffskrieg positionieren und Konsequenzen erwarten.

"Man kann nicht für einen Mörder arbeiten"

Die Leiterin des staatlichen Moskauer Theaterzentrum Meyerhold Elena Kovalskaya trat mit den Worten "Man kann nicht für einen Mörder arbeiten und von ihm bezahlt werden" von ihrem Posten zurück.

Natürlich positioniert sich auch die deutschsprachige Kulturlandschaft. Solidaritätsveranstaltungen, Gespräche mit ukrainischen Künstler*innen in Deutschland und die Frage, wie man mit russischen Künstler*innen an Deutschen Kultureinrichtungen umgeht - vor allem, wenn sie wie der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker Waleri Gergijew mit dem Diktator auf Du und Du sind. Verschiedene Theater leuchten in Gelb und Blau, Theaterhomepages auch - dazu nachtkritik. Der Präsident des Deutschen Bühnenvereins Carsten Brosda äußert sich in einem Statement. Lesenswert ist auch der kurze Beitrag auf der Homepage der Deutschen Bühne "Gedanken zu Russlands Krieg".

Polen: Die PiS gegen Kunst- und Meinungsfreiheit

In Polen tobt aktuell eine öffentliche Auseinandersetzung um die von der PiS-Regierung angekündigte Absetzung des Leiters des Theaters Juliusz Slowacki in Krakau wegen einer Inszenierung, der die rechtsnationale Regierung "antipolnische Tendenzen" vorwirft. In einem ausgezeichneten Artikel in der Deutschen Bühne schildert Wojtek Klemm den Fall vor dem Hintergrund des systematischen Vorgehens der PiS gegen Kunst- und Meinungsfreiheit in Polen. In einer Pressemitteilung solidarisierten sich zahlreiche Theaterschaffende aus dem deutschsprachigen Raum mit dem Theater und dessen Leiter Krzysztof Głuchowski.

"Schönes" Gefühl der Irrelevanz

Nach diesen Themen ist das Gefühl der Irrelevanz bei den folgenden Nachrichten irgendwie auch ein Schönes, denn es erfüllt trotz allem wiederkehrenden Ärger über Missstände, Machtmissbrauch, Unterfinanzierung etc. etc. mit einem Gefühl der Dankbarkeit für das demokratische System, in dem wir in Deutschland leben.

Was die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie für die Theater angeht, findet sich in der SZ in dieser Woche eine recht positive Prognose, wenngleich sie unter der Überschrift "Keine Panik" durchaus auch besorgniserregende Fälle schildert.

Zwei Artikel dieser Woche beschäftigen sich mit der Opernwelt und ihren Kämpfen um Relevanz und Publikum. In einem sehr pointierten Kommentar beim SWR beschäftigt sich Axel Brüggemann mit dem ewigen Spannungsfeld Oper/Regietheater. Und dann heute ausnahmsweise eine Aufführungskritik, da sie sich auch zentral mit der Frage nach der Erneuerung der Oper auseinandersetzt: Neues Deutschland schreibt über "Obsessions" am Theater Bremen.

"Shitstorm-Angst". Was für ein scheußliches Wort.

Ein eher bizarrer Fall ereignete sich in der vergangenen Woche an der Berliner Schaubühne. Ein Schauspieler setzt einen privaten Facebook-Post ab, den man zwar durchaus rassistisch, aber vor allem ziemlich egal nennen kann, und wird dafür durch das Theater öffentlich per Pressemiteilung abgestraft. Und das, obwohl der Schauspieler ziemlich umgehend auf die Kritik seiner Facebook-Community reagiert und für seine Aussagen um Entschuldigung gebeten hatte.

"Shitstorm-Angst". Was für ein scheußliches Wort. Die SZ berichtet inklusive beißendem Zynismus über das Geltungsbedürfnis von Theaterkünstler*innen.

Ein gewisses Geltungsbedürfnis ist auch dem ehemaligen Trierer Intendanten Karl Sibelius schon vorgeworfen worden, der seinerzeit schillernder Dauergast in unseren Wochenrückblicken war. Die Trierer Staatsanwaltschaft hat nun nach jahrelangen Ermittlungen eine Anklage wegen Untreue gegen Sibelius erhoben, wie der SWR berichtet.

Gute Nachrichten aus Hof und Neues in Sachen Tarifstreit

Die Frankenpost meldet gute Nachrichten vom Theater Hof. Dort ist nach dem massiven Wasserschaden vor einigen Wochen nun wenigstens die Vorbühne wieder bespielbar, so dass am kommenden Wochenende die ersten Veranstaltungen stattfinden können.

Und zumindest vorsichtigen Optimismus gibt es auch in Sachen Tarifstreit (wir berichteten). Der Deutsche Bühnenverein gab auf Facebook bekannt, dass im Zuge der Einigung mit den Gewerkschaften GDBA, DOV und VdO über die regulären Tarifsteigerungen die Gewerkschaftsseite "auch für einen kurzfristigen Abschluss der Verlängerungstarifverträge zur Kurzarbeit TV Covid [...] positive Signale" gesendet habe. Klingt gut!

Eine vorsichtige Anfrage an dieser Stelle an den Bühnenverein: Wollt Ihr solche Statements nicht auch mal auf Eurer Homepage veröffentlichen, statt ausschließlich auf Facebook? Das würde das Verlinken ermöglichen. (-:

Abschiede

Im Alter von nur 52 Jahren ist die Münchner Künstlerin und Ausstatterin Jutta Burkhardt an Krebs gerstorben. Die SZ widmet ihr einen Nachruf.

Verstorben ist in der vergangenen Woche auch der Pantomime, Regisseur und langjährige Leiter des Berliner Pantomimetheaters Eberhard Kube. Ein Nachruf findet sich auf nachtkritik.

Auch die Österreichische Schauspielerin Hanne Rohrer, jahrzehntelanges Mitglied des Salzburger Landestheaters, ist im Alter von 79 Jahren verstorben, wie in den Salzburger Nachrichten zu lesen ist.

Der ehemalige Bielefelder Generalmusikdirektor Rainer Koch ist mit 88 Jahren gerstorben. In seinem Nachruf würdigt das Westfalen-Blatt auch Kochs Anteil am sogenannten "Bielefelder Opernwunder".

Leitungswechsel

Am Staatstheater Darmstadt verlängerten Intendant Karsten Wiegand (bis 2029) und GMD Daniel Cohen (bis 2024) ihre Verträge.

Auch in Weimar wird verlängert. Hasko Weber bleibt bis 2027 Intendant.

Einen Wechsel gibt es laut Pressemitteilung dagegen am HAU in Berlin. Petra Poelzl, bisherige Leiterin des Kunstpavillons und der neuen Galerie Innsbruck, wird ab Mai 2022 neue Kuratorin für Tanz und Performance.

Und der letzte Leitungswechsel schlägt den Bogen zum eigentlichen Thema dieser Woche. Wie der Standard berichtet, wird der berühmte serbische Filmregisseur Emir Kusturica ("Schwarze Katze, Weißer Kater") Intendant am Theater der Russischen Armee in Moskau. Der Vorschlag kam vom russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu (das ist der mit der Armbanduhr aus dem ersten Abschnitt). Kusturica ist schon früher mit - vorsichtig gesagt - umstrittenen politischen Haltungen aufgefallen, indem er den Kriegsverbecher Radovan Karadžić unterstützte und die Ansicht vertrat, die Krim gehöre zu Russland.

Und da "Russland" nicht das letzte Wort in diesem Artikel sein soll:

Ukraine.

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