Die Interessenverbände stellen sich vor

Gleichstellung am Theater: "Aber ich muss doch meine Kumpels versorgen"

Published on 18. Feb 2021

Stephanie Bernouilly © Stephanie Bernouilly © Stephanie Bernouilly
Die Interessenverbände stellen sich vor

Gleichstellung am Theater: "Aber ich muss doch meine Kumpels versorgen"

Published on 18. Feb 2021

Angelika Zacek, Regisseurin, Gründungs- und Vorstandsmitglied von "Pro Quote Bühne", über die Schieflage von oben, das Desinteresse der Theatermedien und warum #MeToo noch längst nicht das erreicht hat, was nötig wäre.

Angelika, erzähl uns doch ein bisschen über die Ursprünge von Pro Quote Bühne. Wann habt Ihr Euch gegründet? Wer? Was war die Situation, die zu Eurer Gründung geführt hat?

Wir stehen als Pro Quote Bühne in einer Reihe mit den anderen Pro Quote-Vereinen. Die ersten waren die Journalistinnen mit Pro Quote Medien, danach kamen die Medizinerinnen, die Filmfrauen und dann wir für den gesamten Bereich der Bühne. France-Elena Damian - eine Studienkollegin von mir - und ich haben zu der Zeit in unserer eigenen Arbeit gemerkt, dass die Jobangebote immer weniger statt mehr wurden und wir haben uns gefragt, warum das so ist.

Wir haben uns dann die Studie von Monika Grütters angeschaut und dabei wurde völlig klar, dass die Schieflage von oben, von den Intendanzen her ausgeht - bei 80% Intendanten und 20% Intendantinnen, denen 80% Souffleusen und 20% Souffleure gegenüberstehen. Bei den Regisseur*innen, Autor*innen, Komponist*innen ist es genauso, im Bereich Opernregie und Generalmusikdirektionen sogar noch viel schlimmer. Halbwegs ausgeglichen ist es in der Choreographie und in der Dramaturgie, ansonsten ist die Situation in den künstlerischen Positionen dramatisch.

Je mehr Verantwortung und je mehr Geld, desto mehr Männer sitzen da. Deswegen haben wir gesagt: "So geht es nicht". Wir haben dann Unterstützer*innen gesucht, ein Jahr lang an unserem Manifest, an der Website etc. gearbeitet, um 2017 im Deutschen Theater in Berlin mit einer großen Pressekonferenz an die Öffentlichkeit zu gehen. Und da sind wir nie wieder weggegangen, um auch nie wieder wegdiskutiert werden zu können.

Frauen und Vereine, die sich für Gleichstellung am Theater eingesetzt haben, gab es ja schon sehr lange und immer wieder, sind aber auch immer wieder verlacht und verdrängt worden. Das wollten wir nicht mehr zulassen. Viele Frauen, die wir am Anfang angeschrieben haben, fanden die Sache super, hatten aber Angst, dass ein Engagement negative Konsequenzen für sie hätte. Wir haben uns aber gesagt, dass wir in einem solchen System nicht länger weiterarbeiten wollen und sind dieses Risiko eingegangen.

Wie war die Reaktion auf die Gründung von Pro Quote Bühne?

Das Presse-Echo war riesig. Spiegel, Süddeutsche, FAZ… Nur die fachspezifischen Theatermedien wie "Theater der Zeit" und "Theater heute" haben uns bis heute nicht für ein Interview angefragt, was aus meiner Sicht auch bezeichnend ist. Nachtkritik war eine Ausnahme, da gab es ein Interview.

Was sind eure konkreten Ziele und Forderungen? 

Wir fordern eine Frauenquote von 50% in allen künstlerischen Ressorts am Theater. Wir wollen die Seilschaften beenden, in denen Männer immer andere Männer nachziehen. Wir fordern, dass jede Bühne sich verpflichtet, diese Quote auf Leitungspositionen, bei Haus- und Gastregisseur*innen, Autor*innen etc. anzuwenden.

Auf politischer Ebene heißt das z.B.: Ein Bundesland hat zehn Intendanzen zu vergeben und sorgt bei Neubesetzungen dafür, dass ein Verhältnis zwischen Frauen und Männern von 5:5 entsteht. Dazu ist es notwendig – und auch das fordern wir - auch die Findungskommissionen für Intendanzstellen paritätisch zu besetzen. Man muss sich vorstellen, dass in den 20 Jahren bis 2016 der Frauenführungsanteil in den Theatern um 3% gestiegen ist. Von 19% auf 22% in zwanzig Jahren! Wenn das so weitergeht, dauert es noch über hundert Jahre um auf 50:50 zu kommen. Auf diese Zahlen stützt sich das Manifest unseres Vereins.

Eine weitere Forderung ist das Gender Budgeting. Das bedeutet, dass Gelder, die innerhalb der Häuser an Produktionsteams vergeben werden, gleichmäßig verteilt werden sollen. Auch hier zeigen sich Unterschiede nach Geschlechtern. Die Zahlen dazu werden in der Regel nicht freiwillig veröffentlicht, sind aber in den Geschäftsberichten aufgeschlüsselt, und genau dort lässt sich auch ein Gendermonitoring und Genderbudgeting veranlassen.

Weitere Themen sind die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was Männer wie Frauen betrifft, und natürlich auch die Geschichten auf der Bühne, die größtenteils aus einer männlichen Perspektive erzählt werden. Dabei geht es um das Spielen von Autorinnen und auch um den Umgang mit Klassikern, von denen viele den Bechdel-Test nicht bestehen. Da muss man sich dann schon fragen, ob ich einen Klassiker heute noch undiskutiert spielen kann und ob es nicht ganz andere vielfältigere Themen gibt, die heute auf die Bühne gehören.

Wie sieht denn Eure konkrete Arbeit aus?

Das erste war, ganz viel mit der Presse zu reden, dass es uns gibt. Damit haben wir sehr viel erreicht an Bewusstwerdung innerhalb der Theaterbranche, die ein Jahr lang nur über Gleichstellung und Gleichberechtigung gesprochen hat. Dazu kam genau im richtigen Moment die MeToo-Debatte, die dem Thema zusätzlichen Auftrieb gegeben hat, obwohl MeToo in Deutschland noch längst nicht das erreicht hat, was nötig wäre. Da hüllt sich der Mantel des Schweigens nach wie vor über Vieles. Ein Ergebnis war aber zumindest die Einrichtung von Themis. Das geht stark auch auf das Engagement von Pro Quote Film und uns zurück.

Magst Du kurz erzählen, was Themis ist?

Themis ist eine unabhängige Beratungsstelle des Bundes zum Thema Sexuelle Übergriffe und Sexismus, die die Kulturstaatsministerin ins Leben gerufen hat. Bisher hatten Betroffene nur die Möglichkeit, zu einer Gleichstellungsbeauftragten innerhalb des Hauses zu gehen und wenn es die nicht gab, zum Betriebsrat. Da fehlte aber oft das Vertrauen, denn Betriebsrat und Leitung sind oft sehr stark verbandelt und das Risiko den Kürzeren zu ziehen ist groß.

Diese Angst muss man bei Themis nicht haben, die Beratung ist wirklich unabhängig und es gibt neben psychologischer auch anwaltliche Beratung. Was gemacht wird, entscheiden die Anrufer*innen selbst. Themis wird – leider, muss man ja sagen – gerade von Theaterschaffenden sehr stark genutzt und durch Corona sogar noch einmal verstärkt.

Zurück zu eurer Arbeit…

...wir sprechen mit der Politik auf Bundes- und Landesebene. In die Kommunen wollen wir jetzt auch rein, schließlich sind die Theater ja alle in unterschiedlicher Trägerschaft und unterschiedlich finanziert. Auch dabei geht es darum, möglichst vielen Verantwortlichen die Sachlage zu verdeutlichen. Wie kann es sein, dass es bei börsennotierten, privaten Firmen eine 30%ige Frauenquote in den Aufsichtsräten gibt und im Kulturbereich, wo es um öffentliche Gelder geht, nicht?

Einmal im Monat sind alle Mitglieder zu einem Treffen in Berlin eingeladen, im Moment ist das wegen Corona natürlich etwas anders. Bei diesen Treffen tauschen wir uns aus über Fälle und weitere Vorgehensweisen aus und planen öffentliche Aktionen.

Die nächste Aktion wird zum Weltfrauentag am 08. März stattfinden. Da tun sich verschiedene Frauengruppen zu gemeinsamen Aktionen zusammen. Apropos: Eine große Sache ist die Berliner Erklärung, für die sich alle Pro Quote Vereine mit 17 anderen Frauenverbänden aus verschiedensten Bereichen zusammengetan haben, um gemeinsam für mehr Gleichstellung in allen Bereichen zu kämpfen. Zusammen sind das 12,5 Millionen Frauen deutschlandweit, und das ist dann schon eine beeindruckende Zahl.

Wie wird man denn Mitglied bzw. Unterstützer*in bei euch? Die Unterscheidung wird auf eurer Homepage gemacht. Was bedeutet das? 

Die Unterscheidung war gerade für den Anfang wichtig, um sich wirklich stark aufzustellen und nicht mehr umstoßbar zu sein. Dafür waren prominente Unterstützer*innen notwendig, Menschen, die als Bollwerk dahinter stehen, die man aber nicht unbedingt gleich alle als Mitglieder gewinnen kann.

Eine Mitgliedschaft bei uns kostet 60€ im Jahr, die von der Steuer absetzbar sind, da wir ein gemeinnütziger Verein sind. Als Mitglied kann man sich bei uns in verschiedenen AGs engagieren, sich austauschen, auch die eigenen blinden Flecken untersuchen. Auch ich habe in der Arbeit sehr viele Dinge gelernt, die ich vorher nicht wusste und nicht konnte, einfach durch das Machen. Super ist das gerade für Leute die sich für eine gerechtere Welt einsetzen möchten, die sich politisch engagieren möchten, aber selbst noch gar nicht genau wissen wie das geht.

Gerade für die Arbeit auf kommunaler Ebene brauchen wir Mitglieder. Das wäre die Vision mit dem Hauptschiff in Berlin und überall Zweigstellen, die direkt in die Kommunalpolitik gehen können und dort Aufklärungsarbeit leisten. Wenn jemand auf uns zukommt und sagt "Ich bin da und da, habt ihr ne Idee, was ich für euch machen könnte", dann haben wir auf jeden Fall Ideen.

Unsere Treffen bieten unseren Mitgliedern natürlich auch den geschützten Rahmen, um ihre eigenen Geschichten erlebter Diskriminierung zu erzählen, zu sammeln und auch gemeinsam tätig zu werden.

Eine Abschlussfrage: Was würdest du einem Mann antworten, der sagt "Eine Quote braucht es nicht" und was einer Frau, die dasselbe sagt?

Komischerweise fühlen sich manchmal Frauen mit dem Gedanken an eine Quote unwohl, weil sie denken: "dann bin ich nur wegen der Quote drin". Das ist aber nicht wahr, denn eigentlich wären die Frauen längst auf Grund ihrer Leistungen "drin", wenn das System es nicht verhindern würde.

Dazu würde ich gern eine Geschichte erzählen, die mir eine Kollegin genau so erzählt hat:

Ein Staatstheater hat zehn Regiepositionen zu vergeben. Neun gehen an Männer, eine geht an eine Frau. Die Frau macht eine super Inszenierung, Publikum und Presse finden es geil, sie wird in "Theater heute" als beste Nachwuchskünstlerin nominiert. In der Spielzeit darauf wird sie nicht mehr engagiert. Sie schaut nach und es sind zehn Männer auf den Regiepositionen. Sie ruft den Schauspieldirektor an und fragt: "Wieso kann ich denn nächste Spielzeit nichts machen bei euch, ist doch super gelaufen?" und er sagt: "Ja, aber ich muss doch meine Kumpels versorgen".

Das sagt jemand tatsächlich?

Tatsächlich. So naiv und so direkt. Und diese Mentalität muss einfach aufhören. Dahinter steht natürlich das Wissen eines Schauspieldirektors oder Intendanten, dass seine Amtszeit fünf Jahre dauert und er danach wieder als Regisseur unterkommen muss und er dann all seine Kumpels anrufen kann und hoffen, dass einer von denen eine Machtposition hat.

Mann kappt die Karrieremöglichkeiten der Frau, obwohl alle Ampeln auf Grün stünden, wenn es nach Leistung ginge. Und an dieser Stelle sorgen Quoten für Fairness, und Quoten sorgen auch für Qualität.

Ganz viele wirklich gute Frauen werden in der jetzigen Situation weggedrängt und unterdrückt - und das in einem Lebensbereich wie dem Theater, der sich selbst als progressiv und gesellschaftskritisch sieht und auch nach außen oft so gesehen wird.

Übrigens gibt es in der Verwaltung der Theater kein Problem mit ungleichen Besetzungen, da funktioniert das super. Aber wenn man die künstlerische Seite ansieht, macht das Theater sich selbst irrelevant, weil die Welt zum Teil schon viel weiter ist als die Welt, die die Theater abbilden. Unser großes Ziel ist ein Theater, in dem die Belange aller Menschen behandelt werden und das im Austausch mit der Gesellschaft aus vielen, diversen Perspektiven schöpft.

Comments

Isabel Rothe

Isabel Rothe

Das Kumpel-Argument ist mir 1:1 nach einer erfolgreichen Inszenierung, die ich mir - anders als die männlichen Kollegen unter den Regieassistenten - erst erkämpfen musste, so entgegengebracht worden. Das war 2000, und es hat den Weg in die halbwegs auskömmliche Regiekarriere an Stadt- und Staatstheatern gekappt. Danach habe ich viel geforscht. Ergebnis: Der Proporz von Regisseuren zu Regisseurinnen an subventionierten Theatern lag seither immer bei 80:20, anfänglich waren die 20% aber dem steilen Anstieg während der Weihnachtsmärchen-Inszenierungen geschuldet. Der Frauenanteil in der selbstausbeuterischen freien Szene, wo man meistens froh sein muss, wenn man mit einer schwarzen Null herauskommt, ist überwältigend hoch. Hier dürften sich die Prozente spiegelverkehrt verhalten.
10.03.2022 22:31
Thomas Bayer

Thomas Bayer

Na ja: man brauchte an einem Stadtheater noch bis in die 70 er, im Schauspiel ca. 5- 7 (w)Schauspieler u. ca. 10-14 (m)Schauspieler. Beim Ballett war es umgekehrt. Theaterleitung war männlich, das ändert sich, auch durch die Quote. Was allerdings gar nicht geht und auch nicht stattfinden sollte: in Bremerhaven wurde ein Mann zum neuen Intendaten gewählt und es gab dann vom Ensemble einen "Aufstand" - warum keine Frau bestellt wurde. Danke! Das kann es wirklich nicht sein. Ich wünsche mir für die Zukunft: die richtige Person am richtigen Patz. Wenn es mit einer Quote funktioniert. Gut! Besser wäre künstlerische Qualifikation. Alle guten Wünsche für unsere Theaterlandschaft, weniger Militarismus und Zuhören und der gemeinsame Wille eine künstlerischen Arbeit.
20.02.2021 13:06
Andrim Emini

Andrim Emini

Vielen Dank für dieses Interview! *Ich muss doch meine Kumpels versorgen!* Aber Hallo, den Menschen hätte ich direkt beim Bühnenverein gemeldet.
18.02.2021 13:19