Gast-Kommentar

Nepotismus im Theater: Aus der Zeit gefallen!

Published on 16. Mar 2023

Gast-Kommentar

Nepotismus im Theater: Aus der Zeit gefallen!

Published on 16. Mar 2023

Wenn das deutsche Theatersystem transformiert und Machtmissbrauch verhindert werden soll, muss vor allem die immer noch häufig praktizierte Vetternwirtschaft aus den Theatern verbannt werden, findet unser Autor Adil Laraki.

Nepotismus (oder Vetternwirtschaft) war bereits im Mittelalter ein aufregendes Thema. Und auch damals schon sehr umstritten.

Im Theater ist es noch bis heute bei einigen Leitungen unter Berufung auf die künstlerische Freiheit selbstverständlich, Verwandte oder Lebenspartner*innen einzustellen. Die Bezahlung, die Arbeitszeit, die Dauer und Häufigkeit der Verträge liegen allein in der Entscheidung der Intendant*innen, die ihre Günstlinge frei aussuchen und einstellen dürfen. Weder Aufsichtsgremien noch Betriebs- oder Personalräte werden beteiligt. Die Verwaltungen haben ebenfalls keine Handhabe.

Gesetzlich sind solche Einstellungsmethoden - anders als in anderen westlichen Ländern - hierzulande nicht verboten. Selten gibt es Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, die diesen Gegenstand umfassen. Machtmissbrauch lässt auch hier grüßen. Der oder die Verantwortliche profitiert zugunsten der Familienkasse zumeist selbst finanziell davon und gewinnt so noch mehr an Einfluss.

"Eine Störung des Betriebsfriedens ist vorprogrammiert"

Die Zusammenarbeit zwischen den Protegierten und der Belegschaft im Alltag gestaltet sich meistens sehr problematisch. Erstere werden bei den Aufgabenverteilungen bevorzugt und haben gegenüber ihren Kolleg*innen unabhängig von Qualifikation und Verantwortung oft eine privilegierte Stellung. Ihre unausgesprochenen Befugnisse übersteigen nicht selten die der Vorgesetzten der zweiten Reihe. Ein Streit zwischen dem Schützling und eine*r*m anderen Mitarbeiter*in kann schwerwiegende Konsequenzen wie zum Beispiel eine Nichtverlängerung nach sich ziehen - für den "Normalsterblichen". Eine Störung des Betriebsfriedens ist somit vorprogrammiert.

Eine objektive Einschätzung der Leistung etwa eines Ehepartners in einem solchen Arbeitsverhältnis ist kaum zu erwarten - und selbst, wenn dies möglich wäre, ist eine Nichtverlängerung stets mit einer Verschlechterung der eigenen wirtschaftlichen Lage verbunden. Selbstbedienung ist die Folge. Beim Intendanzwechsel wird durch Nichtverlängerungen immer wieder Platz gemacht für eigene Partner*innen.

"Nepotismus, Seilschaften und Ämterpatronage sind eher Kennzeichen von Diktaturen"

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in vielen Stiftungen, die aus Gebühren oder öffentlichen Geldern finanziert werden, gibt es längst Regelungen, um Nepotismus zu verhindern. In der Politik wird Vetternwirtschaft öffentlich so skandalisiert, dass ein Rücktritt der Politiker*innen fast immer die Folge ist. Nachdem der US-Präsident John F. Kennedy seinen Bruder Robert F. Kennedy 1960 als Justizminister in sein Kabinett aufgenommen hatte, wurde die Vetternwirtschaft in den USA gesetzlich verboten. Bei Ämtervergaben durften fortan keine nahen Verwandten mehr berücksichtigt werden.

Nepotismus, Seilschaften und Ämterpatronage sind eher Kennzeichen von Diktaturen. Chancengleichheit wird damit verhindert und Spaltung wird gefördert. Die Notwendigkeit der Transformation des deutschen Theatersystems ist in aller Munde. Einer der wichtigsten Schritte dazu ist das Verbannen von Nepotismus aus den Theatern.

 

Der Autor

Adil Laraki, Jahrgang 1963, wuchs in Rabat/Marokko auf. Nach erstem Tanzunterricht in Rabat studierte er Bühnentanz in Lausanne und später an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Engagements am Staatstheater Hannover und am Essener Ballett folgten. Laraki tanzte in Werken u.a. von George Balanchine, Hans van Manen, Frederick Ashton, Glen Tetley, Kurt Jooss, Birgit Cullberg und John Cranko. 1994 verabschiedete er sich von der Bühne und widmet sich seitdem als freigestelltes Mitglied des Betriebsrates und Gewerkschafter leidenschaftlich den Interessen seiner ehemaligen Kolleg*innen. Seit 2002 ist er Betriebsratsvorsitzender der Theater & Philharmonie Essen GmbH, darüber hinaus engagiert er sich in zahlreichen Gremien. Laraki trat schon 1985 als Ensemblevertreter für die Belange des Essener Balletts ein und nahm 1988 mit dem Vorsitz des Lokalverbandes Essen der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) seine erste gewerkschaftliche Aufgabe an. Im Oktober 2003 wurde der agile Marokkaner zum Vorsitzenden des GDBA-Landesverbandes NRW bestimmt. Und am Bühnenschieds- und Bühnenoberschiedsgericht, einer Art Arbeitsgericht für Bühnenangehörige, wirkt der Funktionär seit 1995 als Beisitzer mit. Seit 2009 ist er Mitglied des WDR-Rundfunkrats und seit 2014 des Aufsichtsrats der Film- und Medienstiftung NRW. Laraki ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.

Comments