Hundertzwölf! Hundertzwölf!
Kaum hat das neue Jahr mit reichlich Böllerei, einer entgleisten Gewaltdebatte und frühsommerlichen Rekordtemperaturen begonnen, ist auch schon wieder Feuer unterm Dach im Theater. Ganz real auf St. Pauli, wo der Dachstuhl des historischen Schmidts Tivoli brannte (glücklicherweise ohne allzuviel Schaden anzurichten).
Auf die brandgefährliche Situation des Weltklimas wollten Aktivist*innen der "Letzten Generation" auch während des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker hinweisen, eine für die Pause geplante Aktion wurde aber durch die Polizei verhindert.
Und schließlich macht der Kulturrat NRW auf bedenkliche Entscheidungen der Landespolitik aufmerksam. Für die laufende Legislaturperiode war von der Regierung eine substantielle Aufstockung des Kulturetats angekündigt, "statt der vorgesehenen jährlichen Erhöhung von 30 Mio. Euro wurden nur 5,6 Mio. Euro in den Kulturhaushalt eingesetzt", konstatiert der Kulturrat NRW in seinem Jahresausblick, äußert aber auch Hoffnung, dass sich dazu im Laufe der Legislaturperiode noch etwas positiv bewegt.
Irland setzt da ein deutlich anderes Zeichen als die Landesregierung in NRW. Hier erhalten 2.000 per Losverfahren ausgewählte Künstler*innen über drei Jahre lang ein bedingunsloses Grundeinkommen. Man möchte damit zeigen, "dass Irland seine Künstlerinnen und Künstler wertschätzt und kulturelle Angebote als Menschenrecht betrachtet". Wäre ja toll, wenn das Schule macht!
Freund*innen der Statistik aufgepasst:
Was kann man daraus lesen, dass 20 Mitarbeiter*innen einer Musikagentur in ihrer Freizeit Singen und/oder ein Instrument spielen? Richtig, dass es keine Krise der Klassischen Musik gibt. Das ist jedenfalls die Interpretation des Inhabers einer Berliner Firma für Projekt- und Künstlermanagement Karsten Witt. Wirklich richtig – oder vielleicht doch eher ein Gruß aus dem Elfenbeinturm?
Da ist es doch beruhigend, dass die Kulturminister*innenkonferenz und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien beschlossen haben, die "Bundesweite Kulturstatistik" weiterzuführen, die immer einmal wieder vor dem Aus stand. Sie ist ein wichtiges Instrument strategischer Kulturpolitik. Denn ohne verlässliche Daten gibt es keine Basis für faktenbasierte Entscheidungen.
Leitungswechsel
"Nachdenklich und ratlos": Nathalie Senf verlässt die GDBA
Und ein bisschen Trubel gab es auch noch. Die GDBA verliert ein prominentes Mitglied. Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Nathalie Senf ist aus der Gewerkschaft ausgetreten und begründet ihren Schritt in einem offenen Brief. Vor allem unklare Abläufe, die zu gravierenden Formfehlern führen würden und eine zunehmende Konzentration auf die "Verpackung statt auf den Inhalt" hätten ihren Schritt motiviert, erklärt sie dort.
Barenboim kündigt Rücktritt an
Gerade hatte sich der Dirigent Daniel Barenboim noch nach längerer krankheitsbedingter Abwesenheit mit der Leitung des Neujahrskonzert seiner Staatskapelle wieder im Konzertleben zurückgemeldet - und die Musikkritik zu hymnischen Würdigungen herausgefordert - nun gab er seinen Rücktritt als GMD der Staatskapelle bekannt: "Ich kann die Leistung nicht mehr erbringen, die zu Recht von einem Generalmusikdirektor verlangt wird. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich zum 31. Januar 2023 diese Tätigkeit aufgebe." Wer seine Nachfolge antreten wird, wird das Feuilleton wohl noch einige Zeit beschäftigen.
Abschiede
Dem so traurigen Beginn des letzten Wochenrückblicks des Jahres 2022 muss ein ebenso trauriges Ende dieses Rückblicks folgen. Von vielen bedeutenden Menschen des Theaterlebens müssen wir uns verabschieden.
Gestorben sind die Schauspielerin und BE-Ensemble-Mitglied Christina Drechsler mit nur 41 Jahren, der Schauspieler Klaus Weiss im Alter von 78 Jahren, der Schweizer Schauspieler Boris Mattern 85jährig, sowie der Dramaturg und Theaterleiter Dieter Görne im Alter von 86 Jahren.
Adieu!