Liebes Team* vom assistierenden-netzwerk, seit wann gibt es euren Verband? Von wem und vor allem: warum wurde es gegründet? Wie hat sich das Vorhaben seitdem entwickelt?
Die Idee zur Gründung eines eigenen Netzwerks entstand 2019 auf dem Assistierenden-Festival SUMMER UP – und ein paar Wochen darauf folgte das erste Netzwerktreffen live und in Farbe am Nationaltheater Mannheim. Zwanzig Assistierende unterschiedlicher Sparten und Bereiche aus Deutschland, Österreich und der Schweiz trafen sich, um sich gemeinsam über Arbeitsbedingungen, Gagen, Karrierechancen und über ihre künstlerische Teilhabe an deutschsprachigen Theaterhäusern auszutauschen.
Die Ergebnisse waren ernüchternd - fast alle Teilnehmer*innen berichteten von unfairen Arbeitsbedingungen, miesen Gagen und zahlreichen Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz. Kaum jemand hatte die Möglichkeit in eigenen Projekten künstlerisch zu arbeiten oder hatte eine vertraglich festgelegte Abschlussinzenierung. Aber die vielen Gespräche haben uns positiv bestärkt, uns zusammenzuschließen und für unsere Anliegen einzustehen.
Im Sommer 2020 haben wir uns als eine Arbeitsgruppe an das ensemble-netzwerk angeschlossen, sind somit also Teil des Netzwerks und erreichen dank der hervorragenden Vereinsstruktur seitdem noch mehr Assistierende mit unseren Projekten und Veranstaltungen - zuletzt im Oktober 2021 mit der neuen Ausgabe des SUMMER UP Festivals (das inzwischen zum assistierenden-netzwerk gehört) am Schauspiel Dortmund. Immer mehr Assistierende kennen inzwischen unser Netzwerk und wissen, dass es eine Institution gibt, an die sie sich wenden können.
Welche Ziele stehen auf eurer Agenda, welche Vision verfolgt ihr – sowohl für den Theaterbetrieb als solchen, als auch für die Rolle der Assistierenden?
Das assistierenden-netzwerk denkt Theater als soziale, solidarische, nicht diskriminierende, faire Wirkstätte für alle Mitarbeitenden und bietet ein Forum zur Vernetzung zwischen den Assistent*innen. Es teilt Erfahrungen, Wünsche und Werte. Es tauscht sich über Arbeitsweisen, Gehälter, Vertragsverhandlungen, Fortbildungen, Debüt-Inszenierungen und Arbeitsbedingungen aus. Wir richten uns an fest angestellte oder frei arbeitende und selbstständige Assistierende im deutschsprachigen Theaterraum. Gemeint sind spartenübergreifend alle Bereiche, in denen wir assistieren – als Regieassistent*innen, Dramaturgieassistent*innen, Bühnenbildassistent*innen, Kostümbildassistent*innen, Videoassistent*innen, Assistent*innen/Referent*innen/Mitarbeitende der Intendanz und aller anderen Bereiche im Theater.
Zusammengefasst könnte man sagen: Das assistierenden-netzwerk setzt sich für gerechte Strukturen, gute Arbeitsbedingungen und faire Vergütung sowie die Unterstützung zur eigenen künstlerischen Laufbahn von Assistent*innen ein. Uns ist es wichtig, sich als Netzwerk zu verbinden und so den Assistierenden die Möglichkeit zu geben, sich auszutauschen, gegenseitig zu helfen und zu unterstützen.
Habt ihr bereits konkrete Aktionen initiiert oder erste Erfolge verbucht?
Durch unsere Veranstaltungen und unsere Social Media-Kanäle konnten wir bereits viele Menschen vernetzen und unsere Community vergrößern. Mittlerweile haben wir eine rege Kommunikation mit vielen Assistierenden, die sich mit konkreten Problemen an uns wenden.
Aktionen wie unsere 2021 erhobene Umfrage zu den Arbeitsbedingungen von Assistierenden und regelmäßige Zoom-Treffen ermöglichen es uns derzeit, einen guten Überblick über die Arbeitsbedingungen von Assistierenden zu gewinnen und somit dort ansetzen zu können, wo wirklich Probleme bestehen.
Veröffentlichte Paper wie unsere FAQ für Regieassistenz (Schauspiel und Musiktheater) und Ausstattungsassistenz sowie ein Formular zur Arbeitszeiterfassung sollen Assistierenden Hilfestellungen an die Hand geben.
Aus welchem Grund lohnt es sich, Mitglied des assistierenden-netzwerks zu werden?
Ein Netzwerk ist immer stärker als das Individuum allein, und um etwas zu verändern brauchen wir die Kraft von vielen Stimmen. Assistierende sind am Haus eine kleine Gruppe oder sogar oft allein in ihren Abteilungen – Austausch kann also quasi nur über die Hausgrenzen hinaus stattfinden.
Worin seht ihr als Interessenverband eure Aufgabe? Was kann ein mitgliederstarkes assistierenden-netzwerk im Theaterbetrieb langfristig zum Besseren verändern?
Wir stärken Rechte durch Information, z.B. darüber was der NV Bühne für uns Assistierende speziell bedeutet, oder durch Gagentransparenz innerhalb des Netzwerks. Durch die Weitergabe von individuellen Erfahrungen kann sich so ein kollektives Wissen manifestieren.
Wir leisten auch Beistand in Konfliktsituationen mit dem Haus - hier bieten wir auch an, als externe Vertreter unterstützend an Gesprächen mit Vorgesetzten etc. teilzunehmen. Gerade wenn man sich mit Konflikten im großen rechtlichen Graubereich der Theaterlandschaft bewegt, hilft es zu erfahren, wie Situationen andernorts gehandhabt werden.
Mit dem FAQ zum Beispiel haben wir außerdem einen ersten Schritt hin zu einer allgemeinen Berufsbeschreibung gemacht, welche wir gerne in der ganzen Theaterlandschaft etablieren würden - denn man muss wissen, was zum Job gehört, um zum richtigen Zeitpunkt auch "Nein" sagen zu können.
Und wir wollen die Karriereentwicklung der Assistierenden durch Erfahrungsaustausch stärken, dazu bieten wir beispielsweise Talkformate und Mentoring an.
Unsere Netzwerkutopie: Alle Assistierenden sind untereinander vernetzt. Der große Assistierendenstreik erschüttert die Theaterlandschaft. Es wird gestritten für ein verträgliches Arbeitspensum und der Verantwortung angemessene Löhne. Plötzlich stehen die Theater still, denn ohne das Bindeglied der Assistierende funktionieren selbst die einfachsten künstlerischen und organisatorischen Prozesse nicht mehr. Nach kurzer Zeit lenkt das System ein, neue Stellen werden geschaffen und Gehälter angepasst.
Und in welchen Fällen könnt ihr konkret beraten und helfen?
Es gibt bestimmte Erfahrungen, die viele oder fast alle Assistierenden irgendwann einmal machen. Da gibt es Häuser, die ihren Assistierenden systematisch Gagenerhöhungen oder eigene Inszenierungsmöglichkeiten verweigern, da sie die Stellen nach Auslaufen der Verträge ohnehin genauso billig neu besetzen können.
Theater, die die Verantwortung für Betriebssicherheit (Stichwort Hygieneregeln auf der Probe) an die Assistierenden weitergeben, die aber als unterste Sprosse der Hierarchieleiter die geringste Durchsetzungskraft haben, und nebenher ja auch noch mit anderen Aufgaben ausgelastet sind. Aufgaben, die so umfangreich sind, dass sie nur mit regelmäßigem Überziehen von Arbeitszeiten weit jenseits der legalen Grenze zu bewältigen sind.
Von den klassischen Machtmissbrauchsfällen, die an Theatern natürlich auch gegenüber Assistierenden noch viel zu oft vorkommen, ganz zu schweigen.
Wir haben so schon bei einigen heiklen Fälle Hilfe leisten können, bei denen Assistierende bezüglich konkreter Vorfälle mit uns das Gespräch gesucht haben. Wir konnten als Netzwerk diese Kolleg*innen beraten und ihnen den Rücken stärken - manchmal ist es eben schon eine Hilfe, sich einfach mit anderen Assistierenden auszutauschen.
Denn für Assistierende am Theater gibt es oft niemanden, der einem sagt: "Das ist gar nicht deine Aufgabe! Du musst das nicht machen!" - Diese Worte von erfahrenen Kolleg*innen zu hören, ist für viele Assistierende unglaublich wohltuend. Das sieht man auch bei unseren Treffen, wenn Assistierende aus unterschiedlichen Bereichen und Theatern sich gegenseitig empowern und am Ende alle ein bisschen gestärkter aus dem Gespräch rausgehen.
*Marisa Wendt sprach mit Dominik Jellen, Jessica Weisskirchen, Naomi Kean, Maren Schäfer und Tristan Linder - dem Kernteam des assistierenden-netzwerks.
Anja Lemercier