Intendanz bezeichnete ursprünglich die Spitze einer Verwaltungseinheit im feudalen System. Dies konnten zu anderen Zeiten alle möglichen Abteilungen und Institutionen sein, heute wird die Bezeichnung fast nur noch im Bereich der institutionell geführten Theater, der Konzert- und Opernhäuser bzw. der Rundfunkanstalten benutzt.
Das Symposium "Ensemble heißt: gemeinsam" gliedert sich in drei Tischrunden, die die ganze Zeit über auf der Bühne präsent sind. Die jeweiligen Runden wechseln mit den Moderator*innen Ulrich Seidler und Petra Kohse nach vorn, Einwürfe von den Seiten sind möglich.
Eröffnet wird mit der Diskussionsrunde "Ist der Schauspieler in der Mitbestimmung besser?". Die Forderungen, die Lisa Jopt als Sprecherin des Ensemble-Netzwerks vorbringt und die sicherlich entscheidend dazu beigetragen haben, dass man sich derzeit überhaupt mit dem Thema beschäftigt, sind eigentlich ziemlich moderat. Es geht nicht um die basisdemokratische Revolution der Theaterlandschaft, sondern zunächst um größere Transparenz in den Entscheidungsprozessen: Zu oft komme man zu einer Konzeptionsprobe und werde vor vollendete Tatsachen gestellt, so Jopt. Das Netzwerk wünscht sich mehr Mitsprache bei der Auswahl der Stoffe, der Regisseur*innen und Personalia und hier vor allem klar verbriefte Rechte, sich selbst entsprechende Formen für Mitsprache zu schaffen, wie z.B. über ein Delegiertenmodell inklusive Kündigungsschutz für die Sprecher*innen.
Tatsächlich nicht besonders radikal diese Forderungen. Das Ensemble-Netzwerk hat keine knallige Programmatik, keinen Masterplan für das Theater der Zukunft. Auf ein solches zielen die Verfechter*innen des Intendanzmodells jedoch, wenn z.B. der Intendant des Hans-Otto-Theaters Potsdam die Forderungen „zu unentschieden“ nennt. Sie glauben, hier die Schwäche des Netzwerks lokalisiert zu haben. Dabei verkennen sie jedoch, dass Wandel sich durchaus durch kleine Schritte induzieren lässt und der Systemwandel vom Reißbrett meist der sicherste Weg in die Sackgasse ist.
Raum für Fehler
Die große Revolution wurde in den 70ern versucht. Gescheitert oder nicht, das ist Ansichtssache. Die Schauspielerin Elisabeth Schwarz setzt differenziert auseinander, woran das Mitbestimmungs-Experiment am Schauspiel Frankfurt 1981 nach immerhin zehn Jahren zerbrach – eine stattliche Zeit für ein Experiment. Wesentlich grundständiger war die Mitbestimmung hier gedacht. Aus dem antiautoritären Geiste nach `68 entstand die Idee eines basisdemokratischen Hauses. Sie habe wahnsinnig viel in jener Zeit gelernt, jedoch sei es vor allem eines gewesen - anstrengend. Hier deckt sich die Erzählung im Grunde mit allen anderen untergegangenen und noch bestehenden sozialen Utopien der 70er und 80er Jahre: Politische Lagerbildung, inflationäres Debattieren, die ungleiche Aufwendung von Engagement. Ein solches Modell trage sich nur, wenn es alle wollen, es mittragen.
Christian Grashofs Begrüßung an diesem Abend umfasst eine 'schöne' und 'harte' Interpretation des Intendanzbegriffs in Bezug auf jenes "Gemeinsam": Schön, weil man darin die Funktion des Moderators, der Gerüstbauerin, des Drecksarbeitmachers, der Visionärin, des Motivators und Zeremonienmeisters sehen kann - die gute Chefs bisweilen inne haben. Hart, weil wir wissen, dass sich Leitungsfiguren manchmal auch anderer Mittel bedienen, um Menschen "wollen zu machen". Nartürlich lässt sich eine Mitbestimmungspflicht nicht in den NV-Bühne schreiben, ein Recht darauf aber schon. Und derzeit stoßen jene, die von ganz alleine wollen, auf eine Struktur, welche in sich so resistent gegen Einflussnahme "von unten" ist, dass sich jede Angst vor zuviel Diskurs zunächst erübrigt.
Thomas Schmidt, Autor ("Theater, Krise, Reform. Eine Kritik des deutschen Theatersystems"), Direktor des Master-Studiengangs Theater- und Orchestermanagement an der HfMDK Frankfurt und ebenfalls Teil des Ensemble-Netzwerks, spricht in seinem Impuls von einer "kopernikanischen Wende". Die Ensembles sollten demnach im Zentrum eines Theatersystems stehen – und nicht mehr die Intendant*innen. Es klingt größer als es ist: Schmidt schlägt z.B. eine Matrixorganisation vor, wie sie im Wirtschaftssektor, auch in größeren Unternehmen längst üblich ist. Ihm werde deshalb Neoliberalismus vorgeworfen, sagt Schmidt. Dabei finde dieser jeden Tag in unseren Theatern statt.
Was ist normal an den Normalverträgen?
Man wollte sich bei der Veranstaltung auf die Fragen nach der künstlerischen Mitbestimmung beschränken. Spätestens in der zweiten Runde wird jedoch klar, dass diese nicht von den strukturellen Fragen zu trennen sind. Moderiert von Petra Kohse diskutieren Rolf Bolwin, Ludwig von Otting und Notker Schweikhardt zum Thema "Was braucht die Theaterkunst?"
Ein Zankapfel ist wieder der NV-Bühne. Ein Tarifvertrag, den der ehemalige Theatergeschäftsführer u.a. des Thalia Theaters Ludwig von Otting als „neoliberalen Rummelplatz“ bezeichnet. Praktisch nichts an diesem Normalvertrag sei normal: Nicht die Arbeitszeitregelung, nicht die geringen Laufzeiten - und die Lohnuntergrenze spotte jedem Anspruch auf angemessene Bezahlung. Die Schuld hierfür gibt von Otting der GDBA und dem Bühnenverein.
Bolwin, ehemals geschäftsführender Direktor des Bühnenvereins, spielt die Verantwortung für die Zustände zurück an die Intendant*innen. Er hebt die Bandbreite des Vertrages hervor, die die Entscheider*innen ja ausnutzen könnten. Soll heißen: Über Betriebsvereinbarungen Arbeitszeiten klar regeln, Ansprüche verbriefen, höhere Löhne bezahlen. In der Praxis täten das die wenigsten. Überhaupt zeichnet Bolwin ein finsteres Bild: Reformiere man den NV-Bühne wie von von Otting gefordert, würden sich die Bedingungen weiter verschlechtern. Die Theater würden auf Stückverträge ausweichen und dem künstlerischen Personal noch weniger Sicherheit bieten. Was sagt das über das Selbstverständnis eines Arbeitgeberverbands aus?
Bolwin hat auch Recht: Es ist unstreitbar, dass wohlmeinenden, gütigen Entscheider*innen am Theater kaum Grenzen gesetzt sind. Weniger wohlmeinenden aber auch nicht. Im Rückgriff auf Michel Foucault formuliert Thomas Schmidt: "Wenn man genauer hinsieht, sind die meisten dieser Rechte, mit denen ein Intendant ausgestattet ist, jene, die durch die Tarifverträge – allen voran NV-Bühne – erteilt werden. Also durch Verträge, die er – als Institution – selbst begründet hat und immer wieder abschließt." [1] Hiermit beschreibt Schmidt treffend den Treibstoff, der das hierarchische System am Laufen hält, den Zirkelschluss der Instanz, welche sowohl das Wetter als auch die zugehörige Vorhersage macht.
Immer wieder betont der spätere Tisch der Theaterleiter*innen rund um Cornalia Crombholz, Volker Ludwig, Oliver Reese und Tobias Wellmeyer die Wichtigkeit der offenen Kommunikationskanäle. Diese seien ihrer Ansicht nach auch weitgehend verwirklicht. Bescheuert müsse man sein, über die Köpfe der Mitarbeiter*innen hinweg zu entscheiden, man sei schließlich auf ein produktives Betriebsklima angewiesen. Warum nicht einfach fragen, die Türen stünden doch offen. Auf geradezu sträflich naive Weise wird außer Acht gelassen, dass eben jene informellen Freiräume erstens einer Vielzahl von ungeschriebenen Regeln unterliegen und zweitens vom guten Willen der Leitung abhängig sind. Sie kann sie geben oder verweigern. Und auch Menschen mit viel gutem Willen sind fehlbar. Solange man einer Meinung ist, braucht es bekanntlich keine Verträge. Wichtig werden diese dann, wenn man sich nicht einig ist...
Einschub
Mit Annemarie Matzke hat die AdK eine Vertreterin und Wissenschaftlerin der Freien Szene eingeladen, ihre Sicht beizusteuern. Sowohl die Mitbestimmungsmodelle als auch die ersten Freien Gruppen entstanden in den 70er Jahren aus dem Gefühl der Entfremdung von der eigentlichen Kunstproduktion heraus. Die Arbeitsteiligkeit sei ein entscheidender struktureller Unterschied zwischen den Institutionen und Freien Kollektiven. "Wir waren immer gezwungen, unsere Strukturen selber hervorzubringen", so Matzke. Dies habe immer auch das In-Szene-Setzen der eigenen Produktionsbedingungen beinhaltet, ein völlig anderes Künstlermodell also, das die permanente Infragestellung von eigenen Arbeitsformen immer schon mit einschließt. Vielleicht ließen sich ja so auch die Forderungen des Ensemble-Netzwerks nochmal auf den gewünschten entschiedenen Punkt bringen: Den Anfang machen für eine gemeinsame Infragestellung der eigenen Arbeitsformen.
Make it work
Dieses Künstlermodell steht dem der meisten Stadt- und Staatstheater diametral entgegen. Das Paradigma lautet hier: Es kommt darauf an, dass am Ende (gute) Kunst auf der Bühne stattfindet. Dies zu gewährleisten ist demnach die oberste Pflicht einer Theaterleitung und das geschehe ja gegenwärtig – auch ohne Mitbestimmungsmodell. Funktioniert doch. Aber auch wenn man die Qualitäts- und Relevanzfrage beiseite lässt, so ist die Kritik der anderen Seite nicht mehr zu überhören: Nein, es funktioniert nicht. Es funktioniert oft und regelmäßig nicht für so viele Schauspieler*innen, Tänzer*innen, Sänger*innen und Mitarbeiter*innen aller Abteilungen. Es funktioniert nicht für einen großen Teil eines Publikums, das wegbleibt. Es funktioniert immer weniger für die Kommunen, die sich wundern, dass sie für weniger Geld irgendwie nicht mehr dasselbe bekommen wie zuvor. Und es funktioniert auch nicht für die Intendant*innen, die sich offenbar zerrieben sehen zwischen ihrer künstlerischen Aufgabe und der Not, Puffer zwischen ebenjener Kommune und Apparat zu sein. Anders lassen sich bestimmte Argumentationslinien nicht erklären. Wie sonst kann es sein, dass wir 2017 ernsthaft darüber streiten, ob eine streng hierarchische Struktur aus dem 19. Jahrhundert reformbedürftig ist oder nicht? Wie sonst, wenn die Leitungsetagen nicht ihren Kopf für die kleinsten Turbulenzen hinhalten müssten, die in einem Veränderungsprozess zwangsläufig auftreten? [2]
Am Ende geht fast jeden Abend der Vorhang hoch, darauf kommt es an. Gegen ein Mitbestimmungsmodell spricht nach dieser Logik der Angst stets, man könnte ein System stören, von dem man ja zumindest wisse, was man an ihm hat. Mit weniger als einer idiotensicheren Utopie braucht man demnach also gar nicht anfangen, gegen die gewachsenen Strukturen zu argumentieren. Ebenso könnte man aus einem maroden AKW auf erneuerbare Energien blicken und mit dem Umstellen warten, weil man nicht sicher ist, obs stante pede genauso viel Strom gibt. Ach nee, warte mal …
Nun ist die Situation ja zum Glück gar nicht so dramatisch. Aber eines muss man bei einem Wandlungsprozess sicherlich in Kauf nehmen: Probleme und ja, Fehler. Beide kann man lösen. Das Schöne: Theater sind keine AKWs. Soll heißen, Trial-and-Error-Prozesse sind möglich, ohne dass ein Super-GAU droht. Darstellende Künstler*innen sind in diesen Trial-and-Error-Prinzipien häufig ziemlich gut. Sie nennen es Proben.
De-Regulation auf allen Ebenen
Theater probt, Verwaltungen führen aus. Ein grundsätzlicher Widerspruch, der zum Auftrag an die Kulturpolitik wird. Wenn man die Unvereinbarkeiten zwischen Kunst und Verwaltung schon nicht beseitigen kann, braucht es wenigstens ein neues Verständnis voneinander. Notker Schweikhardt, Bühnenbildner und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (Bündnis 90/Die Grünen) formuliert die Probleme, vor denen man steht, fordert man mehr Geld oder unkonventionelle Strukturen: Die hohe Anfälligkeit der Kulturausgaben, die fehlende Lobby. Nicht genannt wurde: Fehlende Kommunikation auf Augenhöhe.
Stemmt eine Intendanz die dringend nötigen Gagenerhöhungen auch ohne Etaterhöhung, sieht sie sich umgehend mit dem Vorwurf der "Subventionsdrückerei" konfrontiert. Leider nicht ohne Grund, denn solche Schritte werden vonseiten der Politik gerne als Signal für mögliche Einsparungen gelesen. Damit dreht sie den Verantwortlichen einen Strick und spielt sie gegeneinander aus. Die Bewertungskriterien, die von der Politik an Theater gesetzt werden, sind größten Teils eine Katastrophe. Gleichzeitig dienen sie den Verfechter*innen des Intendant*innenmodells als schlagkräftiges Legitimationsargument.
In einem Interview mit der FAZ aus dem vergangenen Oktober bemerkt Oliver Reese, er kenne "kein anderes strukturiertes Konzept (...), das als echte Alternative zum im Team arbeitenden, am Ende aber allein verantwortlichen Intendanten als Modell tauglich erscheint (…) Wer fragt denn die Kultursenatoren und -dezernenten, ob sie bereit wären, Verantwortung etwa auch einem Leitungskollektiv zu übertragen? Sie würden sich damit natürlich der Gefahr aussetzen, im Zweifelsfall deren internen Streit schlichten zu müssen." Streit schlichten als Ergebnis des Worst-Case-Szenarios klingt jetzt erstmal nicht besonders dramatisch.
Damit mehr Mitbestimmung an Theatern möglich wird, egal ob künstlerischer oder organisatorischer Natur, braucht es auch Justierungen auf der übergeordneten Verwaltungsebene. Man kann die Probleme bis auf die höchste Ebene durchreichen – die Kulturämter sind vom Haushaltsausschuss abhängig, die wiederum von den Rechnungshöfen usw. - hat damit aber noch nichts gekonnt. Wichtiger ist, einen Anfang zu machen: Mehr und kontinuierlicheren Informationsaustausch und größere Bereitschaft, auf die Bedürfnisse der anderen Seite zu reagieren. Im Großen wie im Kleinen. Schweikhardt verweist auf die ersten Erfolge mit der Berliner Koalition der Freien Szene, Lisa Jopt berichtet von der Aktion "40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten".
Wenn Cornelia Crombholz also gegen Ende der Veranstaltung verspricht, sie werde die Wünsche nach mehr Transparenz und Gehör mitnehmen, dann ist vielleicht etwas gewonnen.
Das Ensemble-Netzwerk macht im System Stadttheater jedenfalls eine Strategie vor, zu der es eventuell nur allein in der Lage ist: Es produziert Risse im Gewebe der Realität. Durch diese Risse hindurch werden Ausschnitte einer anderen möglichen Form des Theaterschaffens an großen Häusern sichtbar. Nicht mehr und nicht weniger. Alles weitere kann tatsächlich nur auf eine Art und Weise geschafft werden - gemeinsam.
[1] Thomas Schmidt: Wie viel Veränderung braucht das Theater? Vortrag in der Akademie der Künste am 22. Januar 2017
[2] Es funktioniert auch nicht für freie Künstler*innen, denen der Zugang zu einem Großteil der künstlerischen Infrastruktur dieses Landes verwehrt bleibt und die sich zudem noch mit wesentlich weniger Geldmitteln begnügen müssen. Aber das ist eine andere Geschichte.