Ein spontaner Programmbestandteil zur Eröffnung des 37. Theatertreffens der Jugend am 3. Juni: die von einer Jury ausgewählten teilnehmenden Gruppen stellen sich gegenseitig in kurzen performativen Sets vor. Als letzte Gruppe werden die Akteure der Produktion „One day I went to *idl" vom Ballhaus Naunynstraße von einer Schultheatergruppe aus Aachen präsentiert. Dann passiert, was Christina Schulz, Leiterin der Bundeswettbewerbe und Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, zu folgendem umgehend veröffentlichten Statement veranlasst:
„Bei der Eröffnung des 37. Theatertreffens der Jugend ist es zu einem rassistischen Übergriff gekommen. Mitglieder der Produktion „One Day I Went to *idl“ wurden in einem Beitrag während der Eröffnung des Treffens der Jugend rassistisch beleidigt und in ihrer Würde verletzt. Wir als Berliner Festspiele und Veranstalter der Bundeswettbewerbe entschuldigen uns für dieses Ereignis. Es war nicht Teil des offiziellen Einladungsprogramms, sondern Teil eines Spontanprogramms, in dessen Verlauf die eingeladenen Produktionen sich gegenseitig vorstellen.“
Was genau ist vorgefallen? Eine Akteurin der Ballhaus-Truppe „Akademie der Autodidakten“ beschreibt den Vorfall in einem vielbeachteten und vielgeteilten Facebook-Posting: „Als letzte Gruppe wurden wir von einer Aachener Theatergruppe vorgestellt. 21 Jugendliche marschierten militant mit Sonnenbrillen "maskiert" und Einkaufsbeuteln ausgestattet auf die Bühne. Die Steigerung in den Alptraum begann mit dem gemeinsamen Ausspruch "Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann", dann wurde der Song im Ghetto Blaster aufgedreht (…) am Ende gingen sie mit ihren Einkaufsbeuteln ins Publikum und verteilten Bananen. Ihr Lieben, das ist die schlimmste Beleidigung, die ich als Künstlerin je erlebt habe. Manche aus unserem Team (welches nur aus POCs (people of color, d.Verf.) und postmigrantischen jungen Erwachsenen besteht) sind nicht sicher, ob sie heute Abend nach so einem Vorfall überhaupt spielen wollen.“
Kurzfristig waren die Verantwortlichen der Aachener Schultheatergruppe „Rohestheater“ nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Eine Vorverurteilung des Leiters Eckhard Debour wäre unangemessen; Fragen, wie es unter seiner Leitung zu diesem Auftritt kommen konnte, wird er sich gleichwohl gefallen lassen müssen. Aber auch die Schüler*innen selbst, 21 an der Zahl, müssen deutlich mit der Frage konfrontiert werden, was dieser Auftritt sollte. Das Schultheater feiert in diesem Jahr das 25. Jubiläum und scheint an sich unverdächtig, tendenziöse Äußerungen dieser Art kundzutun. Die Aachener Zeitung beschreibt das Schultheater der Mies-van-der-Rohe Schule, ein berufliches Gymnasium mit technischem Schwerpunkt, als Erfolgsstory: siebenmalige Teilnahme am Landesschülertheatertreffen NRW, viermalige Teilnahme am bundesweiten Festival Schultheater der Länder. Wie kam es zu diesem Auftritt?
„Wir als Berliner Festspiele gehen davon aus, dass es sich um einen unreflektierten Akt handelt, der vor Augen führt, dass auch Teile der Welt des Jugendtheaters nicht klüger sind als die Gesellschaft als Ganzes. Wir werden uns in den nächsten Tagen mit den heute offenbar gewordenen strukturellen und internalisierten Formen von Rassismus auseinandersetzen. Wir haben die Hoffnung, dass die in dieser Form Angegriffenen Teil dieser Aufarbeitung bleiben. Wir wollen das Forum des Theatertreffens der Jugend nutzen, um diesen Prozess der Sensibilisierung unserer Gesellschaft aktiv zu befördern. Wir bedauern den rassistischen Angriff unserer Gäste und werden alle Schritte unternehmen, einen Klärungsprozess in den nächsten Tagen voranzutreiben.“
Der Intendant des Ballhaus Naunynstraße, Wagner Carvalho, äußerte sich ebenfalls zu dem Zwischenfall: "Wir waren gestern Abend bei der Eröffnung des Theatertreffens der Jugend im Haus der Berliner Festspiele. Was wir dort sehen mussten, war Rassismus in seiner reinsten Form. "ONE DAY I WENT TO *IDL" wurde von einer anderen Gruppe des TTJ vorgestellt, dabei wurde unser Stück und das Team derart grausam rassistisch beleidigt, dass wir nicht mehr weiter an der Veranstaltung teilgenommen haben und derzeit über weitere Schritte nachdenken."
Die Produktion „One day I went to *idl“ fand am Samstagabend vor ausverkauftem Hause statt. Die Protagonisten der Akademie der Autodidakten haben sich nicht von diesem Vorfall abschrecken lassen. Eine ernste Debatte wird jedoch notwendig sein. Handelten die Schüler*innen aus Aachen tatsächlich bewusst - dann wäre das ein alarmierendes Signal über den Zustand in deren Köpfen. Agierten hier 21 Schüler*innen gänzlich unbewusst rassistisch, ist dies eine nicht minder gravierende Katastrophe. Der Vorfall lässt Fragen offen.
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Quellen:
Statement der Berliner Festspiele
www.akademie-der-autodidakten.de/one_day_i_went_to_idl_beim_theatertreffen_der_jugend_2016
www.aachener-zeitung.de/news/kultur/31-produktionen-in-25-jahren-rohestheater-feiert-geburtstag-1.1370530