Wochenrückblick #36/23

Nachsitzen in "Erinnerungskultur": Kräftig rechts oder rechtskräftig?

Veröffentlicht am 9. Sep 2023

Foto von Museums Victoria auf Unsplash © Foto von Museums Victoria auf Unsplash © Foto von Museums Victoria auf Unsplash
Wochenrückblick #36/23

Nachsitzen in "Erinnerungskultur": Kräftig rechts oder rechtskräftig?

Veröffentlicht am 9. Sep 2023

Viele weitere Fragen, Euer Ehren: Warum sich ein Schülertheater mit einer Klage von rechts konfrontiert sieht, wie sich die Causa "Nichtverlängerungen in Naumburg und Leipzig" zur Gerichts-Farce entwickelt - und wo schließlich doch ein Urteil gefällt wird.

"Danke dafür...": AfD klagt gegen Schultheater

Zwei Schulen haben es in den vergangenen Wochen in die Schlagzeilen geschafft, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen. An der Gesamtschule Schinkel in Osnabrück haben 15 Schüler*innen des 11. Jahrgangs in Eigenregie ein Stück entwickelt, für das sie bereits 2019 mit dem Zivilcourage-Preis des niedersächsischen Kultusministeriums ausgezeichnet worden sind. Das Theaterstück mit dem Titel "Danke dafür, AfD" missfiel jedoch der im Titel bezeichneten Partei, die dagegen klagte.

Das Verwaltungsgericht Hannover hat die Klage der AfD, die Schule habe gegen ihr Neutralitätsgebot verstoßen, nun mit dem Verweis auf die Kunstfreiheit abgewiesen. Insgesamt sahen 70 Zuschauer*innen das 45-minütige interaktive Stück. Die jugendlichen Macher*innen hatten "Politiker-Zitate und Social-Media-Posts mit ihren eigenen Gedanken verknüpft. Etwa die Frauke-Petry-Äußerung zum Schießbefehl gegen 'illegale' Flüchtlinge oder die des damaligen AfD-Chefs Alexander Gauland, der den Nationalsozialismus einen 'Fliegenschiss' in der deutschen Geschichte nannte", so die Tagesschau. Aus dem Kultusministerium hieß es zum Agieren der AfD: "Wir beobachten zunehmend, dass diese Partei versucht, Einfluss auf Schulen und Menschen zu nehmen."

In der taz gab es noch im Juli einen lesenswerten Artikel zur versuchten Einflussnahme der AfD auf Kulturinstitutionen, die der Journalist Peter Laudenbach in seinem Buch "Volkstheater" in über 100 Fällen und bundesweit nachweist.

Und nochmal "danke dafür, AfD!" - Aiwanger bleibt

Es überrascht nicht wirklich, dass die AfD in der vergangenen Woche im Bayerischen Landtag Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger in der sogenannten Flugblatt-Affäre den Rücken stärkte. Ach ja – das ist die zweite Schule, die es in die bundesweiten Nachrichten gebracht hat: das Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg. Allerdings ist es diesmal so ganz anders gelagert, was hier die – damals ebenfalls Elftklässler – Hubert und Herbert Aiwanger an Zitaten in die Schule trugen.

Noch am Wochenende stellte sich Ministerpräsident Markus Söder nach dessen halbherzig wirkender Beantwortung seiner 25 Fragen hinter Hubert Aiwanger und löste damit in der Opposition scharfe Kritik aus. In der Zwischensitzung des Bayerischen Landtags - der insgesamt siebten - die seit seinem Bestehen anberaumt wurde, brachten Grüne und SPD den Antrag auf Entlassung Hubert Aiwangers ein, der mit 32 zu 19 Stimmen mehrheitlich abgelehnt wurde.

Zwischenzeitlich werden weitere ehemalige Klassenkamerad*innen respektive der Schulsprecher befragt, ist die Rede von Hakenkreuzen auf dem Schulklo (Urheberschaft: diesmal nicht Aiwangers Bruder, sondern er höchstselbst). Viele Kommentator*innen unterscheiden zwischen der Gesinnung des jugendlichen Aiwanger und der Frage, wie er heute damit umgeht. Dazu ist viel gesagt worden und vermutlich von fast allen. Daher an dieser Stelle die Frage, die auch zahlreiche Theater- und Kulturschaffende umtreibt, die für junges Publikum produzieren: Wie steht es heute um die Erinnerungskultur in Schulen?

Hohe Dunkelziffer: Rassistische oder antisemitische Übergriffe an Schulen

In der Bayerischen Landeshauptstadt hat man vor einiger Zeit eine neue Stelle geschaffen, die dem Oberbürgermeister unterstellt ist: die Fachstelle für Demokratie. Diese wiederum registrierte, dass gerade in den Schulen eine hohe Dunkelziffer herrscht, was rassistische oder antisemitische Übergriffe betrifft. Nicht zuletzt nach dem rechten Anschlag am OEZ wurde klar, dass in vielen Schulen Handlungsbedarf herrscht. Im März letzten Jahres wurde daher eine Anlaufstelle explizit für Schulen geschaffen, so dass Vorfälle gemeldet und erfasst, die entsprechenden Einrichtungen bei Wunsch beraten werden können. Vielleicht sollte so etwas auch in anderen bayerischen Gemeinden, ach was, in der gesamten Republik Schule machen?

Quellen: Süddeutsche Zeitung und Tagesspiegel.

Was andere Baustellen angeht, sind bayerische Schulen genauso defizitär wie andernorts – was mag der Mangel an Lehrkräften für die Möglichkeiten der Einrichtungen bedeuten, mit den jugendlichen Aiwangers von heute umzugehen? Oftmals springen hier ja Kulturschaffende in die Bresche. In diesem Zusammenhang ist die Anmerkung eines Schulbürgermeisters aus Fürth interessant. Er warnte, "der Lehrermangel gehe vor allem zu Lasten zusätzlicher Angebote wie der Theater-AG." Das ist auch in anderen Bundesländern anzunehmen.

Die Causa "Nichtverlängerungen" geht in die nächste Runde: Fancellu vs. Naumburg, Leipzig vs. Schmidt und Preuß, Schmidt vs Leipzig

Manches, was vor Gericht verhandelt wird, entwickelt sich zur Farce: So die Auseinandersetzung zwischen Antonio Gerolamo Fancellu und dem Theater Naumburg – wir berichteten. Zur Erinnerung: Mitte März dieses Jahres klagt der Schauspieler Fancellu vor dem Bühnenschiedsgericht Chemnitz gegen seine fristlose Kündigung und - gewinnt. Allerdings legt die Stadt Naumburg Ende Mai Berufung ein. Termin für das Verfahren: Ende Oktober. Dann eine Verschiebung auf November des Jahres, um dann nochmal auf Februar 2024 zu verschieben.

Fancellu hat Hausverbot – bedeutet, er ist zwar wieder eingestellt, darf aber das Theater nicht betreten, um seiner Arbeit nachzukommen. Wie uns Fancellu mitteilt, bietet die Stadt Naumburg dem Schauspieler an, das Arbeitsverhältnis zu beenden – gegen eine Abfindung. Fancellu lehnt ab. Ende August erhebt sein Anwalt beim Arbeitsgericht in Halle eine Klage im Eilverfahren: Weiterbeschäftigung und somit Aufhebung des Hausverbots sind das Ziel. Am 5.9.23 wird die Klage abgelehnt. Eine Begründung steht noch aus – und interessiert uns ebenso wie Fancellu. 

Die Stadt Naumburg hat zwischenzeitlich zu einem vermittelnden Gespräch zwischen Bürgermeister Armin Müller, dem Chef des Personalamts, Schauspieler und Intendant geladen. Alle haben die Einladung angenommen – bis auf den Intendanten Stefan Neugebauer.

Am Schauspiel Leipzig waren die Nicht-Verlängerungen von Katharina Schmidt und Julia Preuß sowie die damit zusammenhängenden Hausverbote im übrigen Anlass, zu einem Podium zu laden, das den Fokus auf die gemeinsame künstlerische Zusammenarbeit legt. Auch das ensemble-netzwerk und die GDBA waren als Diskussionspartner*innen dabei.

Prof. Dr. Thomas Schmidt von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, der ebenfalls mit auf dem Podium sitzen sollte, sagte seine Teilnahme jedoch kurzfristig wegen der "Unversöhnlichkeit, mit der den beiden Schauspielerinnen Katharina Schmidt und Julia Preuß der Weg zurück ins Ensemble versperrt" werde ab. Er habe außerdem gehofft, den beiden Schauspielerinnen werde bei der Veranstaltung die Möglichkeit gegeben, als Betroffene zu sprechen. Er persönlich würde sich "unwohl fühlen, meine Thesen nun auf dem Rücken der Kolleginnen zu präsentieren", schreibt er in seiner Stellungnahme. "Eine Führung durch Härte, Abwehr und Kritiklosigkeit ist nicht der weg, der die Theater - endlich - ins 21. Jahrhundert führt."

Causa Teichtmeister: Urteil gefällt

Der österreichische Schauspieler Florian Teichtmeister ist vor dem Wiener Landgericht wegen des Besitzes und der Herstellung kinderpornographischen Materials zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Die Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Wiener Burgtheater hatte den Schauspieler 2021 wegen der Causa fristlos entlassen.

Neue Leitung

Ben Glassberg wird neuer Musikdirektor der Wiener Volksoper. Glassberg ist 1994 in London geboren und war von 2019 bis 2021 Chefdirigent der Glyndebourne Tour. Bis 2025/26 ist er weiterhin Musikdirektor der Opéra de Rouen Normandie. "Das Haus sei ein Stagione-Betrieb und erfordere nicht mehr als drei Monate jährlich Anwesenheit", zitiert Der Standard den jungen Musiker. Glassberg löst den erst seit einem Jahr tätigen Musikdirektor Omer Meir Wellber ab, der 2025 Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg wird. Wellber hat seinen Nachfolger selbst ans Haus geholt und bezieht ihn bereits in Planungen ein.

Neues Format

Das Volkstheater Rostock hat ein neues Format: Vom 15. Bis 16. September geht das Axis-Festival über die Bühne. Das Publikum erwartet Musik, Tanz, Film und Bildende Kunst. Außerdem wird Sebastian Krumbiegel (Die Prinzen) erwartet, "um über die 1990-er Jahre zu reden", zitiert die SZ die dpa.

Wir warten noch auf ein entsprechendes Festival in Bayern mit einem Gespräch über die 1980-er Jahre, gesponsert von den Freien Wählern. Ehrengast: Die Band Böhse Onkelz, die seinerzeit wegen ihrer Nähe zum Rechtsrock umstritten war. 

Radiopreis 2023: "Kontoauszüge kann man nicht senden."

Der Deutsche Radiopreis 2023 wurde in Hamburg an insgesamt zehn Preisträger*innen verliehen, Katrin Bauerfeind löste Barbara Schöneberger als Moderatorin ab. "In diesem Jahr war das Schreckgespenst im Raum die KI-Technologie. Sender experimentieren länger schon mit den neuen technischen Möglichkeiten, es gibt bereits erste Internet-Sender, die komplett KI-generiert sind", so Stefan Fels, der in der SZ auch den Satz zitiert, der den größten Applaus des Abends erhielt und eine Mahnung Oliver Kalkofes an die Branche war: "Kontoauszüge kann man nicht senden." Angesichts eingerichteter Kompetenzzentren und gestrichener Programme - sieben Stunden Sendezeit werden allein beim BR wegen des vielzitierten "digitalen Umbaus" gestrichen - erstaunt der Beifall nicht.

Ver.di ruft denn auch wegen der Kürzungen beim BR zur Demo auf. Sie findet am 11.09.23 um 11.00 Uhr vor dem Rundfunkgebäude statt. Auch eine Petition ist auf den Weg gebracht, die ebenfalls der Pressemitteilung von Ver.di zu entnehmen ist. Im Rahmen der Kürzungen ist beispielsweise auch geplant, die Sendung "Kulturjournal" zu streichen, in der bislang auch die Arbeit von Theaterleuten immer wieder Thema ist.

Abschied

Claus Helmer, Intendant der Frankfurter Komödie und des Remont-Theaters in Frankfurt, ist am 3. September im Alter von 79 Jahren gestorben. In der Frankfurter Rundschau erinnert Sylvia Staude an den Theatermann, der auch als Schauspieler und Regisseur im Gedächtnis bleiben wird. Besonders hörenswert ist auch dieser "Doppelkopf" des Hessischen Rundfunk.

Der Regisseur Michael Bleiziffer starb am 6. September kurz vor seinem 70. Geburtstag, wie die Mittelbayerische Zeitung berichtet, die einen ehrenden Titel für ihren Nachruf findet: "Er war ein ganz Großer der Theaterszene in Regensburg."

Kommentare