Interview

Nicht-Verlängerung in der Elternzeit - unglaublich, dass das überhaupt noch möglich ist!

Veröffentlicht am 6. Mai 2021

Simon Hegenberg - "Fortpflanzungsdrang" auf der 3. Bundesweiten Ensemble-Versammlung am Schauspielhaus Bochum © Simon Hegenberg - "Fortpflanzungsdrang" auf der 3. Bundesweiten Ensemble-Versammlung am Schauspielhaus Bochum © Simon Hegenberg - "Fortpflanzungsdrang" auf der 3. Bundesweiten Ensemble-Versammlung am Schauspielhaus Bochum
Interview

Nicht-Verlängerung in der Elternzeit - unglaublich, dass das überhaupt noch möglich ist!

Veröffentlicht am 6. Mai 2021

Warum Eltern am Theater dringend tariflich geschützt werden müssen und welche strukturellen Veränderungen es in der GDBA künftig braucht. Ein Gespräch mit GDBA Präsidentschaftskandidatin Lisa Jopt.

Lisa, was für persönliche Erfahrungen hast Du in Deinem Berufsleben als Künstlerin mit der Vereinbarkeit und Unvereinbarkeit von Familie und Beruf gemacht?
In meinem Arbeitsumfeld hatten immer sehr wenig Leute Kinder. Ich war nach der Vormittagsprobe meist sehr müde und musste mich zum Kraft schöpfen für die Abendprobe immer eine Stunde hinlegen. Und während ich Mittagspause gemacht habe, haben die wenigen Eltern dann ihre Kinder abgeholt. Die haben keinen Mittagsschlaf gemacht und noch Text gelernt. Das fand ich immer krass. Bei der 1. Bundesweiten Ensemble-Versammlung am Theater Bonn gab es bei der Fotoaktion "Nassen Theatermacher*innen glaubt man" ein Schauspielerpärchen, das sich nackt mit ihrem Kleinkind mit Windeln hat fotografieren lassen. In den Händen hielten sie ein Schild "600 € Babysitterkosten".

(c)Thilo Beu

Gibt es eigentlich eine Studienlage darüber, wie viele Bühnenbeschäftigte Familie haben? Oder wie viele eben nicht? Gibt es da erkennbare Unterschiede zum Bevölkerungsdurchschnitt? Wenn ja, gibt es Umfragen zu den Gründen?
Nicht, dass ich wüsste. Das müsste man initiieren. 

Ein großes Thema ist und wird ja die Überarbeitung des Tarifvertrages sein. Was liegt da im Bereich Familie und Beruf im Argen? Wo liegen die Widerstände? Warum ist das nicht schon längst besser?
Es gibt z.B. keinen Schutz vor Nicht-Verlängerung von Eltern während der Elternzeit. Und keinen Schutz vor Nicht-Verlängerung von Eltern nach der Elternzeit. Das ist ein großes Problem. Denn ein Kind zu bekommen ist eine Zäsur im Leben. Für Frauen ist es eine physische Höchstleistung, die unter Umständen dein "Instrument" verstimmt. Eltern müssen also dringend tariflich geschützt werden. Man wundert sich ja überhaupt, dass Nicht-Verlängerungen während und nach der Elternzeit überhaupt noch möglich sind. Seit 2019 gilt der Nicht-Verlängerungsschutz für Schwangere. Seit 2019 erst! Jetzt fragt man sich natürlich, warum erst seit 2019, warum nicht schon viel eher? Da muss ich leider sagen: keine Ahnung. Ich wüsste auch gar nicht, was dagegen sprechen sollte auf der Arbeitgeberseite. Denn Nicht-Verlängerungsschutz von Eltern während und nach der Elternzeit kostet ja noch nicht mal Geld. 

(c)Thilo Beu

Die Arbeitszeiten von Theaterschaffenden passen ja so überhaupt nicht zu Betreuungszeiten von Kita und Schule, die sich an dem orientieren, was so als "normal" gilt. Auf welcher Seite dieses Problems muss man da ansetzen? Und wie?
Am besten macht man einen Mix aus tarifvertraglichen Änderungen (z.B. Nicht-Verlängerungsschutz, Reduzierung der Wochenarbeitszeit), Sensibilisierung für mehr "lange Proben" (wie z.B. von 10 bis 15 Uhr) und einem Aufschlag in der jeweiligen Kommune und dem Arbeitgeber, dass sie die Abendbetreuung mit finanzieren. 

"In der Wirtschaft" gibt es verschiedene Siegel, die besonders familienfreundliche Unternehmen auszeichnen. Könntest Du Dir vorstellen, Dich für so etwas im Kultursektor einzusetzen?
Nein. Ich halte von diesen Siegeln nichts. Sie setzen immer auf Freiwilligkeit der Leitung. Dass wir damit nicht gut fahren, sieht man an den vielen Machtmissbrauchsfällen der letzten Zeit. 

In welchen Verbänden sollte man sich Deiner Meinung nach engagieren um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Kulturbereich zu verbessern? Siehst Du die GDBA strukturell und personell bei dem Thema gut aufgestellt? 
Ich finde, man sollte in dem Verband sein, der zu einem passt. Ob Pro Quote Bühne, Bund der Szenografen oder in einer der vielen AGs im ensemble-netzwerk - Hauptsache, man hat eine Mitgliedschaft in einem Verband. Denn Verbände brauchen nicht nur engagierte Mitglieder, sondern auch finanzielle Ressourcen. Die bekommt man durch Mitgliedsbeiträge.

Um allerdings Rechtsschutz zu haben, sollte man unbedingt der GDBA beitreten. Strukturell sind in der GDBA wirklich viele Veränderungen nötig. Mehr dazu erkläre ich in meinem Youtube-Video, das sollte man sich angucken, ich hab es so gemacht, dass mein Vater es verstehen würde. Der versteht dieses Theatergedöns nämlich nicht so leicht.

Ich hoffe echt, dass es in der GDBA jetzt eh voll abgehen wird, denn durch den Wahlkampf sind sehr viele Leute eingetreten und es haben sich sehr viele neue Lokalverbände gegründet. Es gibt eine Menge sehr fitter Mitglieder, die große Lust auf Gestaltung haben - und ganz unwahlkämpferisch gesprochen: Egal wer die neue Präsidentin wird – der Change-Prozess hat schon längst begonnen und lässt sich nicht mehr aufhalten.

Vielen Dank, Lisa Jopt!

(c)Thilo Beu

Kommentare

Thomas Bayer

Thomas Bayer

Vielleicht macht man sich einmal Gedanken, was es finanziell für Theater bedeutet, einen Ersatz zu engagieren? Vielleicht den Spielplan ändern, oder Andere müssen eine wesentliche Mehrarbeit erbringen. In meiner Anfängerzeit engagierten Intendanten keine Ehepaare, damit der Frust sich nicht verdoppelt und dann multipliziert, vielleicht in alle Sparten getragen wird. Es gibt die drei verschiedenen Augen beim selben Künstler. Beim Engagement ist der Engagierte mit allem einverstanden, will in jedem Stück dabei sein. Übermotiviert! Dann werden die Augen etwas trüber und z.B. das jährliche Weihnachtsmärchen möchte man sich gerne ersparen. Dann kommen die "bösen" Augen und man findet alles irgendwie unangenehm. Aber: man bleibt frustrierend am Haus und der Frust wächst und wächst und wird zur Krake. Um die "Topleute" muss sich die GDBA nicht kümmern. Aber Hallo, Theaterleute sind keine Beamte. Wer das möchte; es gibt genügend "Jobs" in Verwaltungen diverser Kulturinstitutionen.
08.05.2021 14:43