Tarifstreit.
Man hat da ja Bilder im Kopf. Männer - gefühlt ausschließlich Männer - mittleren bis fortgeschrittenen Alters mit roten oder blauen Krawatten, auf Arbeitnehmerseite gerne mit Schnauzbart, die in kämpferischen Posen markige Worte in die Kameras pusten. Und die Presse freut sich und macht Schlagzeilen daraus.
Tja, aber wenn es um den NV-Bühne geht, ist ja bekanntlich einiges anders. In der vergangenen Woche sind die Tarifverhandlungen zwischen der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) und dem Deutschen Bühnenverein über den sogenannten TV Covid 3.0 (vorerst?) gescheitert. Das kommt durchaus überraschend, denn GDBA-Präsidentin Lisa Jopt hatte noch vor wenigen Wochen im Interview mit Theapolis vermutet, dass die TV Covid-Verhandlungen nicht so wild werden würden und stattdessen Großes für die nächsten Grundsatzverhandlungen zum NV Bühne angekündigt.
Nun aber schickte die GDBA über ihren Newsletter eine Pressemitteilung, in der sie über den Abbruch der Verhandlungen durch den Bühnenverein informierte (wir berichteten). Das Dementi des Bühnenvereins folgte prompt, man habe gar nichts abgebrochen.
Wer nun recht oder rechter hat, ist von außen schwer zu beurteilen
Was in den Erklärungen gesagt und nicht gesagt wurde, legt den Schluss nahe, dass die Knackpunkte beim Kündigungsschutz und bei den Ausfallgagen für Gäste liegen dürften. Klar ist, dass es ohne Einigung bald keine Möglichkeit für Kurzarbeit an Theatern mehr geben wird. Klar ist aber auch, dass diese Verlautbarungen nicht zwingend das Ende der Verhandlungen sein müssen, soviel haben wir alle von Bahn und GDL gelernt. Sie dürften im Gegenteil der Anfang eines Verhandlungspokers sein, für den die GDBA bisher nicht stand und das ist – wie auch immer man dazu steht – konsequent, denn es folgt den gemachten Ankündigungen, die Arbeits- und Tarifbedingungen an den Theatern tiefgreifend verändern zu wollen.
Insofern ist das alles zwar für den Theaterbereich neu, aber doch vom Ablauf her bekannt. Das Erstaunliche ist, dass der Vorgang keinem einzigen Presseorgan (mit Ausnahme von Theapolis und Theater der Zeit, das die Pressmitteilung der GDBA wörtlich zitiert), auch nur eine Meldung, geschweige denn einen Kommentar oder eine Schlagzeile wert ist. Man könnte daraus schließen, dass sich für Theaterschaffende kaum einer interessiert und Theater einfach keine Lobby hat. Vielleicht weiß aber auch einfach keiner von dem Vorgang. Weder die GDBA noch der Bühnenverein verlieren auf ihren Homepages ein Wort darüber. Ob das ein Zeichen von Vernunft und Deeskalierung ist und am Ende was Gutes herauskommt? Que sera, sera...
Es sind aber auch Dinge passiert, über die die Presse durchaus berichtet hat, und auch von denen haben einige mit Streit zu tun.
In Stuttgart wurde schon im Oktober Musikdirektor Mikhail Agrest fristlos entlassen. Nun eskalierte der Fall erneut im Nachgang der Verhandlung am Bühnenschiedsgericht. Fakten und Sichtweisen in dem Fall fasst der SWR zusammen. Plastischer wird es noch in dem SWR-Interview mit dem Stuttgarter Ballett-Intendanten Tamas Detrich, in dem schon vieles von den Grabenkämpfen und dem Machtgehabe anklingt, die in Haus und Szene üblich zu sein scheinen. Wer noch nicht genug hat, lese den Artikel aus der FAZ über den Fall, der einen endgültig kopfschüttelnd hinterlässt und zudem die schönste juristische Beschreibung einer Mamma-Mia-Geste enthält, die man sich denken kann.
Streit gibt es natürlich auch über Corona-Regeln.
In den letzten Tagen besonders in Bayern, wo - anders als zuletzt angekündigt - die erlaubte Maximalauslastung von 25% doch nicht erhöht wurde, wie br24 berichtet. Das sorgt für Empörung insbesondere ob der nicht nachvollziehbaren Tatsache, dass in der Gastronomie nur 2G gilt und keine Abstandsregelungen, während die Theater trotz Abständen und 2G+ nun wieder ausgebremst werden. Die Bandbreite der Entgeisterung fasst br24 zusammen.
Einspringen ist die Disziplin der Stunde.
Ansonsten lässt sich über Corona an den Theatern sagen: Manche ziehen durch, solange es geht, manche sagen vorsorglich ab, manche werden zu Absagen gezwungen, weil das halbe Ensemble Corona hat. Einspringen ist die Disziplin der Stunde. Manche lassen nur noch Abonnent*innen rein, alle leiden unter massenhaften Abonnementkündigungen. Die Berichte dazu sind austauschbar - wer mag, kann sie sich ergooglen.
Kreativer Protest in den Niederlanden
In den Niederlanden haben etwa 70 Kultureinrichtungen landesweit kreativ gegen die Benachteiligung bei den Coronamaßnahmen protestiert, indem sie sich spontan zu Yogaklassen, Nagelstudios oder Frisiersalons erklärt haben, während parallel Kleinkünstler*innen und klassische Orchester spielten. Der Barbier von Amsterdam. Die himmlischen Haarscheren. Die Tagesschau berichtet.
Und sonst so?
Während sich René Pollesch an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz überwiegend selbst inszeniert, inszeniert er parallel am Berliner "Konkurrenztheater" DT. Ein Tabubruch, meint der Tagesspiegel. Man kann das für berechtigt halten, für lokalpatriotisch oder einfach nur für eine weitere Facette in der allgemeinen Unzufriedenheit mit Polleschs Arbeit an der Volksbühne.
In Greifswald ist die Sanierung des Theaters beschlossen worden, in Nürnberg bekommt der Streit um den bereits beschlossenen Interimsbau auf einem monströsen NS-Gelände ein neues Kapitel.
Der NDR hat ein Interview mit der Hannoveraner Intendantin Sonja Anders geführt, in dem es um die alte Frage geht, wie die Häuser bildungsfernere Schichten erreichen können. Wohltuend ehrlich ist der Satz: "Gleichzeitig ist die Frustration sehr groß, dass es sehr wenig greift".
Das Portal Queer.de wirft einen queeren Blick auf die Theaterspielpläne der aktuellen Spielzeit.
Abschiede
Mit 93 Jahren verstarb Hardy Krüger - Schauspiellegende, Sunnyboy, Hollywoodstar, Autor und Kämpfer gegen Naziideologien damals wie heute. Einen von vielen Nachrufen veröffentlichte die Tagesschau.
Mit gerade einmal 55 Jahren starb der Hamburger Familienmusicalproduzent Christian Berg, dem seinerzeit der Durchbruch mit dem Musical zu "Oh wie schön ist Panama!" gelungen war, wie der NDR in seinem Nachruf erzählt.
Verabschieden müssen wir uns auch von dem ehemaligen Chemnitzer Generalmusikdirektor Niksa Bareza, der im Alter von 85 Jahren verstorben ist, wie die ZEIT schreibt.
Überraschend verstarb mit nur 59 Jahren der Operntenor Rafael Rojas, der noch im Sommer "Nero" im Bregenzer Festspielhaus gesungen hatte und der zu den "herausragenden Opernsängern seiner Zeit" gehörte, wie die Bregenzer Intendantin Elisabeth Sobotka im Nachruf in den Salzburger Nachrichten zitiert wird.
Personal
Am Vorarlberger Landestheater bleibt Stephanie Gräve bis mindestens 2028 Intendantin, wie der Standard schreibt.
Kontinuität gibt es auch am Staatstheater Nürnberg, wo Jan Philipp Glogers Vertrag als Schauspieldirektor ebenfalls bis 2028 verlängert wurde, wie in der SZ nachzulesen ist.
Veränderungen gibt es dagegen im Vorstand des Kinder- und Jugendtheaternetzwerks ASSITEJ, wie nachtritik berichtet.
Preise und Förderungen
Den diesjährigen "Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker" erhält Amir Gudarzi für sein Stück "Wonderwomb", wie auf rbb24 zu lesen ist.
Zudem wurden die Dr.-Otto-Kasten-Förderpreise an mehrere im Lockdown entstandene Projekte jüngerer Theaterschaffender vergeben. Ausgezeichnet wurden, wie nachtkrik schreibt: "Cecils Briefwechsel" von Sapir Heller und Lena Wontorra, "Dichterliebe" von Franziska Angerer, "Homewalk" von pulk fiktion, "ich bin" von Jana Zöll und "Wir sind noch einmal davongekommen" des Studiengangs Schauspiel der Theaterakademie August Everding.
Und noch zwei Preise: Der Kinder- und Jugendtheaterpreis Karfunkel geht an das Tanzensemble Hennermanns Horde. Den Förderpreis erhält die Gruppe imaginary company, wie aus der ZEIT zu erfahren ist.
Zudem wurden die geförderten Kultureinrichtungen eines bundesweiten Förderprogramms zur digitalen Qualifierung und Transformation mit dem sperrigen Titel "KULTUR.GEMEINSCHAFTEN Kompetenzen, Köpfe, Kooperationen" bekanntgegeben. Mal ehrlich, wer denkt sich solche Titel aus? Die Liste der 166 geförderten Institutionen findet sich hier.
Zum Schluss noch ein Veranstaltungshinweis:
Am 26.01. um 18.30 findet über Zoom ein vom NRW Kultursekretariat veranstaltetes interaktives Podium mit dem Titel "Macht und Struktur in Kultureinrichtungen" statt. Im Vorfeld ist es möglich über einen Blog Fragen zu stellen und Anregungen für die Diskussion zu geben.