Wochenrückblick #25/23

Theoretisch geliebt, praktisch gefährdet und immer bereit zur Konfrontation

Veröffentlicht am 23. Jun 2023

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Wochenrückblick #25/23

Theoretisch geliebt, praktisch gefährdet und immer bereit zur Konfrontation

Veröffentlicht am 23. Jun 2023

Warum die Liebe der Deutschen zum Theater offenbar eher ideeller Natur ist, mit welchen Mitteln Kulturschaffende und Theater um ihre Existenz kämpfen, wie eine Choreografin für mehr Inklusion in der Ausbildung sorgen will und warum aus den Leitungsebenen diese Woche gleich mehrere Paukenschläge zu hören sind.

Quo vadis, deutsche Bühnenlandschaft?

Stell dir vor, alle mögen Theater und keiner geht hin... Viele Häuser haben nach wie vor mit halb leeren Rängen, schwindenden Abonnentenzahlen und finanziellen Problemen zu kämpfen. Aktuellstes Beispiel ist das Schauspielhaus Bochum, dem laut neuen Zahlen, die der WAZ vorliegen, die Abonnenten weiterhin ausbleiben. Liegt´s allein an der neu gefundenen Spontanität des Publikums, das sich nicht mehr auf ein starres Terminsystem einlassen möchte? Oder muss man die Ursachen woanders suchen? Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage findet eine große Mehrheit der Deutschen, dass der Erhalt kultureller Angebote für künftige Generationen sehr wichtig ist – aber die Wenigsten der Befragten gehen aktuell noch ins Theater. Pandemie, Inflation, Krieg – und die Folgen für die deutsche Bühnenlandschaft? Ein weites Feld...

Das Theater und das (un)liebe Geld

Der noch nicht ganz beigelegte Tarifstreit von GDBA, BFFS und VdO mit dem Deutschen Bühnenverein dürfte in dieser Woche vor allem darstellenden Künstler*innen mit Gastverträgen auf den Nägeln gebrannt haben. Leider endeten die Verhandlungen nun mit der Ablehnung eines Inflationsausgleichs für gastierende Künstler*innen seitens des Bühnenvereins. GDBA-Präsidentin Lisa Jopt forderte in einer Pressemitteilung weiterhin nachdrücklich einen Ausgleich für diejenigen, die in der deutschen Kulturlandschaft ständig "auf Montage" seien und von den Auswirkungen der Wirtschaftslage besonders hart getroffen würden.

Auch in der Hauptstadt wird finanzielle Unterstützung eingefordert: In einem offenen Brief hat ein Zusammenschluss von Berliner Kulturschaffenden eine Bedrohung des einzigartigen "Kulturökosystems" angemahnt. Die Unterzeichnenden - unter anderem das HAU, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Rimini Protokoll und She She Pop - kreiden der Stadtregierung an, dass aktuell nur 3 Prozent des Haushaltsvolumens für Kultur zur Verfügung stünden.

Noch dramatischer ist die Theaterlage in Sachsen: Die Mittelsächsischen Theater Freiberg, Döbeln und Görlitz haben einen Appell an die Landesregierung gerichtet, nach dem ohne eine wesentliche Verbesserung der Finanzierung der Bestand der Häuser akut gefährdet sei. Daniel Morgenroth, Intendant des Görlitzer Theaters, fürchtet gar, dass er schon in diesem Herbst die Theatertüren schließen muss. Gründe hierfür sind laut der Sächsischen Zeitung ein millionenschweres Defizit und fehlende Zuschüsses des Kreises. Inzwischen hat der Kulturraum Erzgebirge-Mittelsachsen die Gesamtförderung aufgestockt, auch sollen durch höhere Eintrittspreise Finanzlücken gefüllt werden, weiß die Freie Presse.

Im Nachbarland Sachsen-Anhalt sollen dagegen die Theater und Orchester in den kommenden Jahren stärker unterstützt werden. Kulturminister Rainer Robra (CDU) will nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung nicht nur die Grundfinanzierung erhöhen, sondern auch für Steigerungen bei den Personalkosten das Bundesland ins Boot holen. Es ginge darum, "einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Kunst entfalten kann". Das dürfte vor allem eine gute Nachricht für das Nordharzer Städtebundtheater sein, wo es bei klammen Kassen um den Erhalt von 35 Orchesterstellen geht.

In Mecklenburg-Vorpommern hält sich Kulturministerin Bettina Martin (SPD) im Gespräch mit dem NDR in puncto Finanzspritzen für die angeschlagenen Mehrspartentheater bedeckt. Sie sieht hier die Kommunen in der Verantwortung, betonte aber auch, dass der 2018 geschlossene Theaterpakt mit jährlichen Förderungsanhebungen – trotz Corona und Inflation – nicht in Gefahr sei.

Die Hansestadt Bremen lieferte diese Woche ein schönes Beispiel nach dem Motto "Theater hilft Theater". Die Volksbühne Bremen hat 12.000 €, die nach der Schließung der Bühne in der Kasse verblieben waren, an das Junge Theater Bremen gespendet. Mit dem Geld soll dort unter anderem ein Theater-Patenschaftsmodell zwischen Alt und Jung unterstützt werden.

Bei unseren Nachbarn in der Schweiz wird still, aber ausdrucksstark protestiert: Im Foyer Public des Theater Basel werden gerade verschiedene Arbeitsgeräte der technischen Mitarbeiter*innen ausgestellt. Diese wollen damit auf die immer wieder verschobenen Verhandlungen zu ihrem Gesamtarbeitsvertrag aufmerksam machen. Das Theater wurde laut eigener Aussage von der Aktion überrumpelt – auch wenn es nicht der erste Gewerkschaftsprotest in Basel ist, wie das Portal "20 Minuten" berichtet.

Es kracht und knallt im Leitungskarrussell

Wieder einmal steht das Schauspiel Köln in den Schlagzeilen: Die Stadt will nach einem Bericht des WDR den Vertrag mit dem Star-Choreographen Richard Siegal nicht verlängern – laut Kulturdezernent Stefan Charles eine "politische Entscheidung", aber "kein Anzeichen für eine Krise". Damit verliert Köln das Tanzensemble "Ballet of Difference" - und den dritten prominenten Kulturschaffenden in diesem Jahr.

Die Braunschweiger Zeitung nennt es einen "Paukenschlag": Der Intendant des Scharoun-Theaters Wolfsburg Dirk Lattemann hat nach einer Aufsichtsratssitzung sein Amt niedergelegt. Laut dem Aufsichtsrat habe man sich "einvernehmlich darauf verständigt", zu den Gründen hält man sich allerdings bedeckt.

In den Diskussionen um die zukünftige Ausrichtung des Hamburger Ohnsorg-Theaters will Kultursenator Carsten Brosda (SPD) die Wogen glätten und zu einem Austausch einladen. Die Streitigkeiten drehen sich vor allem um die Frage, ob auf der traditionell niederdeutschen Bühne in Zukunft auch hochdeutsche Stücke gezeigt werden sollen. Die Fronten zwischen der Vorsitzenden des Trägervereins, Sandra Keck, und Indendant Michael Lang scheinen über diesen Punkt seit längerem verhärtet zu sein, so Radio Hamburg.

Völlig überraschend hat das Leitungsteam des Prinz Regent Theaters Bochum seinen baldigen Rücktritt angekündigt: Hans Dreher und Anne Rockenfeller wollen sich ab Mitte 2025 "neuen Herausforderungen" stellen. Der Vorstand des Trägervereins reagierte mit Bedauern auf die Entscheidung der Geschäftsführerin und des künstlerischen Leiters.

In Baden-Württemberg wird das Ende der Ära einer Theaterfamilie eingeläutet – und viel frischer Wind mitgebracht: Christof Küster, Leiter des Studio Theaters Stuttgart, übernimmt ab der Spielzeit 2024/25 das Theater der Altstadt. Er tritt damit die Nachfolge von Susanne Heydenreich, die aktuell noch das von ihren Eltern gegründete Haus leitet – als ältestes Privattheater Baden-Württembergs.

In Koblenz bleibt dagegen alles beim Alten: Die Stadt hat den laufenden Intendantenvertrag von Markus Dietze bis Ende der Spielzeit 2030/31 verlängert. Seit 2009 navigiert Dietze das Haus, zuletzt durch die Wirren der Corona-Pandemie, was von Oberbürgermeister und Kulturdezernentin besonders positiv hervorgehoben wurde.

In Essen setzt man an Aalto Ballett und Philharmonie auf bekannte Gesichter: Die neuen Führungspositionen wurden komplett hausintern besetzt. Als neue Doppelspitze übernehmen der stellvertretende Intendant Marek Tůma und Ballettmeister Armen Hakobyan ab der Spielzeit 2024/25 die Ballettintendanz von Ben Van Cauwenbergh. Marie Babette Nierenz, bisher künstlerische Leiterin, wird bereits im kommenden Herbst die neue Intendantin der Philharmonie.

Die Deutsche Oper am Rhein geht ebenfalls nach dem Motto "doppelt genäht hält besser" vor: Ab 2024/25 teilen sich Bridget Reiner und Raphaël Coumes-Marquet die Führung der Ballettcompagnie. Vitali Alekseenok wird neuer Chefdirigent am Haus.

Preisverdächtig und inklusionsmächtig

Beim Westwind Festival in NRW hat es mitten im heißen Wetter Preise geregnet – diese waren in diesem Jahr erstmals alle mit 4.000 € prämiert. Die Kinderjury hat das Stück "Der Katze ist es ganz egal" des Theaters Münster zu ihrem Favoriten erklärt. Sieger der Jugendjury wurde "Der geheimnisvolle Fremde" der Jungen Bühne Bochum; die Preisjury zeichnete die internationale Koproduktion "dÄmonen" (FFT Düsseldorf / Theater Sgaramusch Schaffhausen / Theater Liechtenstein TAK Schaan / ROTONDES Luxemburg) aus.

Als erste Künstlerin erhält die schottische Choreographin Claire Cunningham den Ruf, als Einstein-Professorin an der UDK und der HfS Ernst Busch Berlin zu lehren und zu forschen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit für "Choreography, Dance and Disability Arts" soll sie besonders die „Choreography of Care“ weiterentwickeln, eine kritische künstlerische Reflexion über Normativität, die auch die Ausbildung von behinderten Tänzer*innen voranbringen soll.

Mit dem Festival "Protagonistas" will das Berliner HAU aufzeigen, dass moderner Feminismus mehr bedeutet als Frauenquote und Equal-Pay. Die Teilnehmer kommen aus aller Welt – was sie in am HAU erleben können, kann man beim Deutschlandfunk nachhören.

Abschiede

Völlig unerwartet ist die Schauspielerin Heike Kretschmer im Alter von 51 Jahren gestorben. Als Absolventin der Ernst-Busch-Schauspielschule führte sie ihr Weg von Oberhausen ans Wiener Burgtheater und Volkstheater. Seit 2016 gehörte sie zum Ensemble des Stadttheaters Klagenfurt, das sich in einem bewegenden Nachruf von ihr verabschiedet hat.

Ebenfalls verabschieden muss sich das Publikum von Sopranistin Gabriele Schnaut. 1997 wurde sie von der "Deutschen Bühne" als "einzige, echte hochdramatische Sängerdarstellerin unserer Zeit" bezeichnet. Als Brünnhilde, Elektra und Turandot war auf den Opernbühnen der Welt zu Hause. Nun ist sie im Alter von 72 Jahren gestorben, wie ihre Agentur mitteilte.

Aus den USA erreicht uns die Nachricht, dass Schauspieler Paxton Whitehead mit 85 Jahren gestorben ist. Der Brite, der am Broadway unter anderem mit einem Tony Award ausgezeichnet wurde, war ein vielbeschäftigter Gaststar in TV-Serien wie "Friends", "Law and Order", "Desperate Housewives" und "The West Wing".

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