Wochenrückblick #9/25

"War´s für Dich auch so schrecklich, Schatz?"

Veröffentlicht am 1. Mär 2025

Auch mit Wahl-Kater, jetzt erst recht: aufstehen, weitermachen! Symbolbild (c) Curated Lifestyle <a href="https://unsplash.com/de/fotos/eine-traurige-asiatin-in-einer-unglucklichen-ehe-3JrCEaW7oVI" target="_blank" rel="noopener">f&uuml;r Unsplash+</a> © Auch mit Wahl-Kater, jetzt erst recht: aufstehen, weitermachen! Symbolbild (c) Curated Lifestyle für Unsplash+ © Auch mit Wahl-Kater, jetzt erst recht: aufstehen, weitermachen! Symbolbild (c) Curated Lifestyle für Unsplash+
Wochenrückblick #9/25

"War´s für Dich auch so schrecklich, Schatz?"

Veröffentlicht am 1. Mär 2025

Im Nachgang der Bundestagswahl bleibt vorerst der Vorhang zu und alle Fragen offen: Kommt mit der neuen Regierung endlich die Kultur ins Grundgesetz? Wer sitzt demnächst im Kulturministerium? Wo wird weiter gespart? Und warum will das Theater Dortmund ein bereits gebuchtes Tanztheater wieder loswerden?

Im "Wochenrückblick danach" kommt man an der Bundestagswahl nicht ganz vorbei. Obwohl unser Thema hier ja Kultur und Kulturpolitik ist – und das kann man vom vergangenen Wahlkampf nun wirklich nicht behaupten. Aber jetzt kommt das sicher, oder?

Kulturrat fordert: Endlich "Kultur ins Grundgesetz"!

Der Deutsche Kulturrat wendet sich mit 11 Forderungen an die zukünftige Bundesregierung. Im Interview nennt Geschäftsführer Olaf Zimmermann vor allem die seit langem versprochene Aufnahme eines Staatsziels "Kultur ins Grundgesetz" und die höherrangige Vertretung der Kultur durch ein Bundeskulturministerium. Bisher gibt es lediglich eine untergeordnete Kulturstaatsministerin. Wie wahrscheinlich das angesichts der augenscheinlichen Prioritäten ist... Aber hey, einen neuen Kulturpolitiker wird der zukünftige Bundestag zu bieten haben: Den Rechtsradikalen Matthias Helferich von der AfD, der sich einst als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnete und der nun ankündigte, im Kulturausschuss den „Kulturkampf von Rechts“ voranzutreiben, mit „positivem Bezug zu Nation und Volk“. Er wolle „mit rechter Kulturpolitik den linken Kulturkampf beantworten“.

Denn die im Kulturbetrieb, das sind ja eh alles „grüne und linke Spinner“ und „Links ist vorbei“. Sagt doch auch die AfD, oder? Ach nee, das sagte Friedrich Merz im Wahlkampf.

Berlin kürzt weiter, Chialo hofft auf Ministerposten

In Berlin setzen Finanz-, Pardon, Kultursenator Joe Chialo und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch ihren radikalen Sparkurs fort. Jetzt ist die altehrwürdige Urania dran, eine Kultur- und Bildungseinrichtung, die vor allem für niederschwellige Angebote und ein breit gefächertes Publikum steht. Die im Haushalt bereits eingeplanten Zuschüsse von fast einer Million Euro sollen komplett gestrichen werden, die Existenz des Hauses ist in Gefahr.

Chialo könnte vor einem Karrieresprung stehen, ist er doch in einer neuen CDU-geführten Bundesregierung als Nachfolger Claudia Roths als Kulturstaatsminister im Gespräch. Sein Konkurrent um das Amt dürfte der Hamburger Kultursenator und Vorsitzende des Deutschen Bühnenvereins Carsten Brosda sein, wie die taz analysiert. In dem Artikel werden die Herausforderungen umrissen, vor denen die Kulturpolitik angesichts des aggressiven Kulturkampfes der AfD steht. Die taz liefert zudem Portraits zu den Kandidaten Brosda und Chialo. Wer von beiden sich mehr zum Thema Theater äußert, dürfte aufmerksamen Theapolis-Leser*innen bekannt sein.

Gegen Stereotype und Untertöne: Neue Antisemitismus-Beratungsstelle für Kunst und Kultur

Bei aller Kritik und Kürzungen: In dieser Woche verkündete Chialo den Start einer neuen Beratungsstelle gegen Antisemitismus in der Kunst. Das „Open Arts Hub“ wird mit 500.000€ aus Landesmitteln gefördert und richtet sich sowohl an angefeindete Künstler*innen als auch an Kulturinstitutionen, „um in Werken antisemitische Stereotype oder Untertöne zu vermeiden“.

Gekürzt wird übrigens nicht nur in Berlin. Die österreichische Stadt Graz beispielsweise kürzt die Zuschüsse für die freie Szene um 1,8 Millionen Euro, wie der Standard berichtet.

Der Fall Shen Yun: Theater Dortmund will Sekte nicht im Haus haben

In Dortmund prüft die Leitung des Stadttheaters rechtliche Möglichkeiten, den Vermietungsvertrag für die Vorstellungen des chinesischen Tanztheaterstücks Shen Yun zu kündigen. Durch einen Beitrag des ZDF Magazin Royale um den Moderator Jan Böhmermann wurde in den letzten Wochen bekannt, dass Shen Yun durch die chinesische Sekte Falun Gong (in Deutschland Falun Dafa) finanziert wird, die über ihr reichweitenstarkes Medium Epoch Times weltweit rassistische, homophobe und wissenschaftsfeindliche Positionen vertritt und Falschinformationen verbreitet. Derartige Positionen werden in mehr oder weniger versteckter Form auch in dem oberflächlich unpolitischen Tanztheaterstück vertreten. Des Weiteren steht Shen Yun in der Kritik, seine teils minderjährigen Darsteller*innen auszubeuten.

Vom Theater Dortmund heißt es nun, die Vermietung des Opernhauses sei bereits im Jahr 2022 beschlossen worden und Kritik an Shen Yun sei den Verantwortlichen bis dato nur vonseiten der kommunistischen Partei Chinas bekannt gewesen, welche Falun Gong nachweislich seit Jahrzehnten brutal verfolgt und unterdrückt. Ein Sprecher des Theaters Dortmund verweist darauf, dass andere Häuser, in denen Shen Yun bisher gezeigt wurde, die Show als von der Kunstfreiheit gedeckt angesehen hätten. „Trotzdem machen wir uns inhaltliche oder religiöse Positionen der Produktion nicht zu eigen“. Eine Kündigung des Vertrages wird vom Theater Dortmund angestrebt, erscheint aber offenbar rechtlich schwierig.

"Unsicherheit und Frustration": Bleibt Kost-Tolmein in Münster?

Gewaltigen Ärger gibt es auch am Theater Münster. Seit Monaten schwelt dort ein Konflikt zwischen der Intendantin Katharina Kost-Tolmein und großen Teilen der Belegschaft, der nun weiter eskaliert. Im Zuge der anstehenden Frage, ob der Vertrag der Intendantin über das Jahr 2027 hinaus verlängert werden soll, gingen nun zwei offene Briefe beim Oberbürgermeister von Münster ein. Der eine wurde von 34 Personen unterzeichnet und spricht von einer offenen und fairen Arbeitsatmosphäre. Der andere stammt von sehr viel größeren Teilen der Belegschaft und spricht von einem „Arbeitsumfeld, das von Unsicherheit und Frustration geprägt ist“, wie es in einem Audiobeitrag des WDR heißt. Des Weiteren heißt es in dem Brief, die meisten Unterzeichner*innen des ersten Briefes stünden in direkter Abhängigkeit von der Intendantin. In dem Beitrag nennt die Kommentatorin eine Verlängerung der Intendanz unrealistisch und fatal und stellt die Frage, wie angesichts der Situation überhaupt die zweieinhalb Jahre der laufenden Intendanz „über die Bühne gebracht werden“ sollten.

Leitung

  • In Tübingen kündigte überraschend der Intendant des Zimmertheaters (ITZ) Peer Mia Ripberger aus Protest gegen die städtischen Kürzungen seinen Vertrag vorzeitig zum Ende der laufenden Spielzeit. „Die Sparmaßnahmen umzusetzen, würde die Kündigung nahezu aller Arbeitsverträge im Herbst 2026 und die Einstellung des Spielbetriebs im Frühjahr erfordern“, so Ripberger. In einer Pressemitteilung, die Theapolis vorliegt, heißt es weiter, die mögliche Einstellung des Spielbetriebs sei von der Stadt als Trägerin in Kauf genommen worden.
  • Auch der kaufmännische Leiter des ITZ Roman Pertl teilte mit, seinen Vertrag vorzeitig auflösen zu wollen. In der Pressemittelung äußert er sich mit den Worten: „In Gesprächen ist klar geworden, dass unüberbrückbare Differenzen zwischen Theaterleitung und Stadtverwaltung in der Bewertung der betriebswirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten des besonders kritischen Jahres 2026 bestehen“. Ein Schulterschluss mit der Stadt sei nicht erkennbar. Die zuständige Tübinger Kulturbürgermeisterin bestätigte die unüberbrückbaren Differenzen. Sie sei aber überzeugt, dass trotz der von der Stadt geforderten Einsparungen von 290.000€ auch mit den verbliebenen 800.000€ gutes Theater gemacht werden könne – in anderen Städten gehe das ja auch. Ein Nachsatz, der viel aussagt über das derzeitige Verhältnis zwischen Theatern und Kultur- und Finanzpolitik vielerorts.
  • Am Tanztheater Wuppertal Pina Pausch beendet Boris Charmatz seine Intendanz zum Ende der laufenden Spielzeit. Beide Parteien vereinbarten Stillschweigen über die Gründe, allerdings betonte die Stadt, sie hätte gerne weiter mit Charmatz zusammengearbeitet und sei offen für zukünftige Kooperationen.
  • Das Theater Bremen wird nach dem Tod von Michael Börgerding zunächst bis zum Ende der laufenden Spielzeit weiterhin von einem Team geleitet, in dem die Spartenleiter*innen ihre eigenen Entscheidungen verantworten sollen. Ergänzt wird das Leitungsteam durch die kaufmännische Geschäftsführerin und den künstlerischen Betriebsdirektor.
  • In Essen wird die Intendantin des Aalto-Musiktheaters und der Philharmoniker Merle Fahrholz ihren Vertrag auf eigenen Wunsch nicht über das Jahr 2027 hinaus verlängern.
  • Am Schauspiel Leipzig wird Intendant Enrico Lübbe wie geplant nach 14 Jahren im Amt seine Intendanz 2027 beenden. „Für das Auswahlverfahren zur Nachbesetzung der Intendanz plant die Stadt unter anderem einen Workshop, bei dem Ensemblevertreter und Mitarbeitende aus der Belegschaft des Schauspiels eingebunden werden sollen. Dabei solle sich über eine gemeinsame Perspektive und die strategischen Leitlinien des Schauspiels verständigt werden“, weiß der mdr.
  • Nach ganzen 27 Jahren scheidet Tadeusz Matacz zum Ende des Jahres als Direktor der John Cranko Schule für Ballett in Stuttgart aus. https://www.tanznetz.de/de/article/2025/neues-leitungsteam-john-cranko-schule. Seine Nachfolger*innen Elisa Carillo Cabrera und Mikhail Kaniskin haben beide jahrelang am Stuttgarter Ballett gearbeitet.

Ausgezeichnet

Den Oper! Award als bester Opernregisseur des Jahres gewann der designierte Intendant der Staatsoper Hamburg Tobias Kratzer. Die Jury bezeichnete alle seine Inszenierungen des Jahres 2024 als Volltreffer.

Abschied

Im Alter von 93 Jahren ist in dieser Woche Ernst Hilbich gestorben. Der Schauspieler und Kabarettist war unter anderem das Sams in der Augsburger Puppenkiste und langjähriger Sketchpartner von Rudi Carrell. Ein Nachruf findet sich in der Stuttgarter Zeitung.

Die Dresdner Kulturlandschaft trauert um Friedrich-Wilhelm Junge. Der langjährige Schauspieler am Staatsschauspiel, Gründer des Kabaretts "Dresdner Brettl" auf dem "Theaterkahn" starb im Alter von 86 Jahren.

Kommentare