Wochenrückblick #50/23

Die sch...tressigste Zeit des Jahres

Published on 16. Dec 2023

Foto von Karsten Winegeart <a href="https://unsplash.com/de/fotos/braun-weisser-kurzhaariger-hund-mit-rot-schwarzem-schal-n3c5pSoD2Fc" target="_blank" rel="noopener">auf Unsplash</a> © Foto von Karsten Winegeart auf Unsplash © Foto von Karsten Winegeart auf Unsplash
Wochenrückblick #50/23

Die sch...tressigste Zeit des Jahres

Published on 16. Dec 2023

Wie soll man denn besinnlich sein, wenn von einem "Fest der Versöhnung" kaum die Rede sein kann? Unsere Autorin hat sich in der Branche umgesehen und berichtet, wo dieses Jahr der Grinch sein Unwesen treibt - und wo es doch noch Hoffnung auf ein Weihnachtswunder gibt.

All I Want For Christmas... Is stressfrei

Hach, endlich ist wieder Weihnachten, die sch...tressigste Zeit des Jahres! Doppel- und Triple-Vorstellungen vom Weihnachtsmärchen für kreischende, hustende und rotzende Schulklassen, Plätzchen backen (oder zumindest selbstgekaufte in selbstbeklebte Dosen verpacken), Last-Minute-Gutscheine ausdrucken, einmal bitte besinnlich mit der Bratwurst über den Weihnachtsmarkt rennen, Geschenke abliefern und die Kinder bei der Krippenspielprobe verräumen (oder andersrum?), die beste Tischsitzordnung für sich ständig streitende Verwandte ausknobeln und diese dann noch vom veganen Weihnachtsbraten überzeugen... Ich weiß, ihr habt gerade alle viel zu tun! Deshalb das Wichtigste aus der vergangenen Woche in Kürze - und garantiert ohne „Last Christmas“ im Hintergrund... Oops, Ohrwurm verpasst.

Präsente und Peseten in Hessen, Thüringen und Sachsen

Ein ganz besonderes Präsent erhält die Stadt Frankfurt, nämlich eine „Kulturmeile“ für Oper und Theater. Wie Theapolis berichtete, hoffen die Städtischen Bühnen schon lange auf einen Neubau als Ersatz für das baufällige Gebäude am Willy-Brandt-Platz. Nun haben sich die Stadtverordneten nach einem Bericht von n-tv darauf geeignet, die Oper am derzeitigen Standort neu zu errichten und das Schauspiel wenige hundert Meter entfernt im Bankenviertel aufzubauen. Mit den derzeitigen Grundstückseignern – der Hessischen Landesbank und der Sparkasse – soll nun detailliert verhandelt werden, allerdings ist ein Baubeginn erst in vier Jahren realistisch.

Geldgeschenke sind nicht nur zu Weihnachten gern gesehen: Das Magazin Klassik.com hat erfahren, dass die Thüringer Theater und Orchester bis zum Jahr 2032 32 Millionen Euro mehr Förderung als bislang vereinbart erhalten werden. Damit wolle man für „Planungssicherheit und eine gesicherte Existenz“ sorgen, so Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke).

Und auch aus dem Nachbarland Sachsen ist ein Weihnachtswunder zu vermelden: In seiner letzten Sitzung vor den Feiertagen hat der Chemnitzer Stadtrat für das städtische Theater einen Rettungsschirm von einer zusätzlichen Million Euro beschlossen, wie das Portal Blick berichtet. Nachdem das Theater schon das vergangene Jahr aufgrund von geringer Auslastung und Tarifsteigerungen mit einem Fehlbetrag abgeschlossen hatte, wurde dieser im laufenden Jahr durch diverse Instandhaltungsmaßnahmen vergrößert. Nun kann das Theaterteam erst einmal beruhigt Heiligabend feiern.

In Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg wütet der Grinch

In Dessau hat dagegen der (staatliche) Grinch das Weihnachtsfest gestohlen: Die Mitteldeutsche Zeitung (leider nur als Paywall-Meldung) schreibt, dass der Bund dem Anhaltischen Theater die geplante Förderung in Höhe von 8 Millionen Euro abgesagt hat. So bleibt hier die bange Frage, wie die dringend benötigte neue Lüftungsanlage für den Zuschauerraum finanziert werden soll.

Am Theater Baden-Baden scheint es momentan an allen Ecken und Enden zu fehlen, wie Bloggerin Rita Hampp in einem erschreckenden Bericht schildert. Von der dringend sanierungsbedürftigen Bühnentechnik, für die von Seiten der Stadt nur die Hälfte des Geldes bewilligt wurde, über den Personalmangel hin zur drohenden Auflösung des Theaterfundus – man fühlt sich an die Misere in Dickens´ „Christmas Carol“ erinnert...

(Un-)Versöhnungsfest

Nachdem vor Gericht die Klagen der Schauspieler*innen Antonio Gerolamo Fancellu, Julia Preuß und Katharina Schmidt gegen das Theater Naumburg und das Schauspiel Leipzig zurückgewiesen wurden (Theapolis berichtete regelmäßig), rollt eine Welle durch die deutsche Theaterlandschaft. Dem MDR liegt ein Solidaritätsschreiben mit 150 Unterzeichneten vor, das von der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) und dem EnsembleBündnisBerlin initiert wurde. In der Kritik steht dabei vor allem der NV-Solo-Vertrag und die damit verbundene Möglichkeit der Intendanz, eine Kündigung aus „künstlerischen Gründen“ missbräuchlich zu nutzen.

Diskriminierungsvorwurf: Israelischstämmiger Schauspieler nicht besetzt - "anti-israelischer Boykott"?

Dem schweizerischen Theater Neumarkt steht ein Diskriminierungsvorwurf ins Haus: Der israelischstämmige Schauspieler Yan Balistoy kritisiert in einem offenen Brief, aufgrund seiner Herkunft und Religion in zahlreichen Stücken nicht besetzt zu werden. Hausdramaturg Eneas Nikolai Prawdzic will „als Jude und Mitarbeiter dieser Institution“ die Vorwürfe nicht unkommentiert stehen lassen und erläutert in einem Bericht des SRF, dass man im Ensemble aktuell mit einem libanesischen Boykott-Gesetz konfrontiert sei. Dieses verbietet libanesischen Staatsbürgern die Zusammenarbeit mit israelischen Staatsangehörigen – und würde eine libanesische Kollegin Balistoys möglicherweise in Schwierigkeiten bringen. Daher habe die Theaterleitung in diesem Dilemma entschieden, beide nicht gemeinsam auftreten zu lassen. Balistoy wirft aber gerade deshalb dem Theater vor, den „anti-israelischen Boykott der Hisbollah in die Arbeitsstrukturen (…) einzubauen.“ Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation im Nahen Osten ein brandheißes Thema mit noch unklarem Ausgang...

PEN setzt sich für Freilassung palästinensischer Künstler ein

Wir bleiben (leider) beim Nahost-Konflikt: Der internationale Schriftsteller*innen-Verband PEN hat sich überaus besorgt über die Verhaftung der palästinensischen Künstler Ahmed Tobasi und Mustafa Sheta geäußert. Beide betreiben gemeinsam das im Jenin-Flüchtlingslager beheimatete Freedom Theatre. PEN appelliert eindringlich an die israelischen Behörden, Tobasi und Sheta freizulassen und die aktuelle Verfolgung palästinensischer Schriftsteller*innen und Künstler*innen einzustellen.

Leitungswechsel

Ab der Spielzeit 2024/25 wird Kirsten Uttendorf die Geschicke des Landestheaters Detmold als neue Intendantin lenken. Uttendorf ist seit 2018 Operndirektorin in Darmstadt und wird von Landrat Dr. Axel Lehmann als „engagierte und profilierte Theaterfrau“ willkommen geheißen.

Die gebürtige Amerikanerin und langjährige Leiterin des Londoner Filmfestivals Tricia Tuttle wird ab 1. April 2024 die neue Chefin der Berlinale. Tuttle bringt laut Kulturstaatsministerin Claudia Roth 25 Jahre Erfahrung mit und hat bereits das Londoner Filmfestival „bunter, vielfältiger und zugänglicher gemacht“ - schöne Aussichten für die deutsche Filmgala.

Dieter Ripberger, noch Co-Intendant am Zimmertheater Tübingen, wechselt bereits zum 12. Februar 2024 als Geschäftsführender Direktor an das Staatstheater Kassel. "Mit Roman Pertl übernimmt ein kompetenter Kaufmännischer Leiter und mit Corinna Huber eine kompetente stv. Intendantin zusammen mit Intendant und Geschäftsführer Peer Mia Ripberger das Ruder in Tübingen", gab Dieter Ripberger auf Facebook bekannt.

Auszeichnungen

Sie kann´s nicht lassen: Schauspielerin Sandra Hüller hat wieder einmal abgeräumt – und zwar gleich doppelt. Für ihre Rolle in dem Spielfilm „Anatomie eines Falls“ wurde sie bei den European Film Awards als European Actress 2023 ausgezeichnet. Bei den renommierten LAFCA Awards in Los Angeles erhielt sie zusätzlich den Preis als beste Hauptdarstellerin in „Anatomie eines Falls“ und „The Zone of Interest“. Damit hat die 45-jährige wieder einmal ihre Position als Deutschlands aktuell erfolgreichste Schauspielerin gefestigt.

Abschied

„Brooklyn Nine-Nine“-Fans mussten diese Woche sehr tapfer sein: Schauspieler Andre Braugher, besser bekannt als Captain Raymond Holt, ist im Alter von 61 Jahren nach kurzer Krankheit verstorben. Wie die FAZ schreibt, wurde Braugher im Ghetto von Chicago geboren und entschloss sich gegen den Willen seiner Eltern dazu, Schauspieler zu werden. Sein Vater soll ihn damals gewarnt haben: „Zeig mir einen schwarzen Schauspieler, der Geld verdient.“ Braugher sollte seinen alten Herren eines besseren belehren: Vor allem durch Serienrollen wie in „Homicide“ spielte er sich in die Herzen der Zuschauer*innen. Zuletzt war Braugher unter der Regie von Maria Schrader im #MeToo-Drama „She Said“ zu sehen.

Die Bremer Shakespeare Company trauert um eines ihrer Gründungsmitglieder: Laut Tagesschau ist Schauspieler Norbert Kentrup im Alter von 74 Jahren verstorben. 1984 schloss sich Kentrup mit sechs anderem zum inzwischen legendären Bremer Theaterensemble zusammen; er gründete außerdem ein freies Theater in Berlin und war jahrelang als Dozent an Schauspielschulen tätig.

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