Wochenrückblick #43/23

Klamme Kassen, Krawalle von rechts und ein Klassiker-Eklat

Veröffentlicht am 28. Okt 2023

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Wochenrückblick #43/23

Klamme Kassen, Krawalle von rechts und ein Klassiker-Eklat

Veröffentlicht am 28. Okt 2023

Warum Kunst nicht nur nach Brot, sondern auch nach Bürger*innen geht, wo Theater unter Polizeischutz schon traurige Realität ist, wieso in Erfurt die Zeichen auf Sturm stehen – und weshalb in Salzburg diese Woche nicht nur die Domglocken ein Donnergeläut veranstaltet haben...
„Ach, wir Armen!“ 

Na, ist bei Euch auch mal wieder am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig? Ein schwacher Trost: Ihr seid nicht allein. Der Deutsche Kulturrat hat, auf Initiative von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, eine Studie zur wirtschaftlichen Lage in der Kulturbranche vorgestellt – mit einem ernüchternden Ergebnis. Nicht nur verdienen Beschäftigte in Kultur- und Medienberufen deutlich weniger als in anderen Branchen – der Gender-Pay-Gap liegt in der darstellenden Kunst bei satten 32%. Besonders solo-selbstständige Frauen erhalten wesentlich niedrigere Honorare als ihre männlichen Kollegen. Der Präsident des Kulturrats, Prof. Christian Höppner bezeichnete diesen Missstand als ein Armutszeugnis des Kulturbereichs und appellierte neben der Branche selbst auch an die Bundesregierung, die Rahmenbedingungen für Kulturschaffende zu verbessern. Wenn laut Lessing „Kunst nach Brot“ geht - geht bei solchen Zuständen bald gar nichts mehr?

Freistoß und Fouls von rechtsaußen

Zum Glück geht in Konstanz noch so einiges, wie der SWR mitteilt: Nach einer emotionalen Debatte hat sich der Gemeinderat gegen die vorgeschlagenen massiven Einsparungen bei Theater und Südwestdeutscher Philharmonie entschieden. Konstanz hat aktuell mit einem Haushaltsdefizit von 15 Millionen Euro zu kämpfen. Theaterintendantin Karin Becker hatte aber bei der mit Spannung erwarteten Gemeinderatssitzung nochmals betont: „Aber an der Kunst und Kultur darf in Zeiten, in denen Rechtspopulisten immer lauter werden, nicht gespart werden.“ Jetzt dürfte ein befreites Aufatmen am Bodensee zu vernehmen sein: Die von der Schließung bedrohte Werkstattbühne bleibt erhalten, und Mitarbeiter*innen müssen nicht mehr um ihre Anstellung fürchten. Das Theater soll nun lediglich 300.000 € einsparen, das entspricht 5% der städtischen Zuschüsse.

Gute Nachrichten erreichen uns auch aus der Schweiz: Die Bieler Bürger*innen stehen hinter ihrem Theater. Nach einem Bericht des Portals Bluewin stimmten rund 62% der Wahlberechtigten für eine Fortführung des Verpflichtungskredits der Stadt an das Theater. Das Haus erhält von seiten der Kommune jährlich fast vier Millionen Franken, was vor allem der rechtspopulistischen SVP ein Dorn im Auge war. Diese musste aber nun, dank kunstbegeisterter Bieler*innen, eine Niederlage bei ihrer Kampagne gegen die Kulturfinanzierung einstecken.

Apropos Foul von rechtsaußen: In einer erschütternden Reportage der ND hat sich das queer-feministische Kollektiv CHICKS* zu den Ereignissen im Vorfeld des Theaterfestivals „Wildwechsel“ geäußert. Das Stück LECKEN war dort von diversen rechtsextremen Gruppen bereits vor der Aufführung massiv angefeindet worden; Mitglieder des Kollektivs berichten, dass sie so viel Hass noch nie erlebt hätten. Man hätte sogar über eine Aufführung unter Polizeischutz nachdenken müssen, bevor das Gastspiel schließlich von Seiten des Festivals abgesagt wurde. Eine schöne Lektüre ist dieser Artikel nicht – aber eine wichtige, mit einer wichtigen Botschaft: Nazis keine Bühne überlassen – weder in der Politik noch im Theater!

„Was ist das für ein Glockenläuten?“

In Salzburg, der geldadeligen Idylle zwischen schneebedeckten Bergen und Puderzucker-bedeckten Mehlspeisen knallt es gewaltig: Die aktuelle „Jedermann“-Inszenierung von Michael Sturminger wird 2024 nicht wieder aufgenommen, bei der Neuinszenierung im kommenden Jahr sind weder der Regisseur noch sein Hauptdarsteller Michael Maertens mit an Bord. Das berichtet die Kleine Zeitung nach einer Stellungnahme der Salzburger Festspiele, deren Direktorium gemeinsam mit der Schauspielleiterin Marina Davydova diesen drastischen Schritt gewagt hat. Die Entscheidung sei „alles andere als leicht gefallen“, aber „notwendig, um einen künstlerischen Neustart zu ermöglichen“. Von Seiten des künstlerischen Teams wurde die Vorgehensweise der Festspiele kritisiert; Regisseur Sturminger erwägt offensichtlich eine Sammelklage.

Am Theater Erfurt überschlagen sich gerade die Ereignisse: Am vergangenen Wochenende äußerte sich die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Mary-Ellen Witzmann, vor der Presse über mutmaßliche Übergriffe von Theater-Mitarbeitern auf sechs Personen. Ihr lägen Schreiben von Sängerinnen vor, die sich unter anderem auf Tatvorwürfe aus dem Jahr 2019 beziehen. Die Stadtverwaltung warf Witzmann daraufhin eigenmächtiges Verhalten vor, da die Presse angeblich vor einer ausreichenden Berichterstattung der Gleichstellungsbeauftragten an ihre Vorgesetzten informiert wurde. Nun hat das Theater selbst – wenn auch verhalten – reagiert und der Stadtverwaltung empfohlen, den Vorgang unabhängig untersuchen zu lassen. Möglicherweise wird in Kürze die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, berichtet der MDR.

Kommen und Gehen

John von Düffel wird ab 2025 neuer Intendant des ETA-Hoffmann-Theaters Bamberg, wie man auf der Seite der Stadt Bamberg lesen kann. Der Dramatiker und Dramaturg, der aktuell auch Szenisches Schreiben an der UdK Berlin unterrichtet, will bei seinem Amtsantritt nach eigenen Worten „das Lokale mit dem Überregionalen“ und „die Unterhaltung mit dem Ernst“ versöhnen. Er wird Nachfolger von Sibylle Broll-Pape, deren Verlängerungswunsch von einer Mehrheit des Stadtrats abgelehnt wurde.

Kay Metzger legt im Sommer 2026 seine Tätigkeit als Intendant am Theater Ulm nieder, wie in der Badischen Zeitung zu lesen war. Der 63-jährige gab selbst an, mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze die Verantwortung in jüngere Hände abgeben zu wollen. Seine Nachfolge ist noch nicht geregelt.

Und auch in Wien ist alles offen: Wie „Die Presse“ berichtet, hat der Vorstand der Volkstheater-Privatstiftung die künstlerische Leitung des Volkstheater ab der Spielzeit 2025/26 ausgeschrieben. Grund für die Vakanz ist der anstehende Wechsel des jetzigen Volkstheater-Intendanten Kay Voges nach Köln.

Preisverdächtig

Eine Ehrung für sein Lebenswerk mit dem „Faust“ geht in diesem Jahr an einen ganz großen Opernmacher: Klaus Zehelein, Dramaturg und Opernintendant erhält die Trophäe des Deutschen Bühnenvereins, dem er bis 2015 selbst als Präsident vorgestanden hat. Begründet wurde die Juryentscheidung damit, dass der 83-jährige die moderne Oper wie kein zweiter geprägt habe, so ein Bericht des WDR.

Die Akademie der Künste zeichnet – mit einem Jahr Verspätuing - den Theatermacher Achim Freyer mit dem Konrad-Wolf-Preis 2022 aus. Freyer habe die Formung des Regietheaters in Deutschland seit den 1960er Jahren entscheidend beeinflusst, lässt die Akademie in ihrer Pressemitteilung verlauten. Der Konrad-Wolf-Preis, der jährlich alternierend für herausragende künstlerische Leistungen in der Darstellenden bzw. der Film- und Medienkunst verliehen wird, geht übrigens 2023 an den Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange.

„Die Zeit nimmt alle mit...“

Der Schauspieler und Journalist Lutz Riemann ist mit 82 Jahren gestorben, wie der Spiegel berichtet. Von 1983 bis 1991 stand er als Oberleutnant Zimmermann für die Fernsehreihe „Polizeiruf 110“ vor der Kamera, nach der Wende war er als Journalist tätig. Erst 2013 wurde bekannt, dass er seit den 1960er Jahren inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war und in deren Auftrag auch im „nicht-sozialistischen Ausland“ spionierte.

„Who's the cat that won't cop out when there's danger all about?“: Nach einer Meldung der Tagesschau ist Schauspieler Richard Roundtree, besser bekannt als Shaft, mit 81 Jahren einer Krebserkrankung erlegen. Die Legende des Blaxploitation-Kinos war in den 1970er Jahren der erste afroamerikanische Actionheld und brachte damit einen – längst überfällige – Hinwendung Hollywoods zu BIPoC-Darsteller*innen in Gang.

Heute ruft Rocky nicht nach Adrian, sondern nach Paulie: Wie die TZ mitteilt, ist der ehemalige Boxer und Schauspieler Burt Young im Alter von 83 Jahren gestorben. Neben seinen Rollen in „Chinatown“ und „Once Upon A Time In America“ ist er vielen als Schwager des Box-Underdogs Rocky Balboa in Erinnerung geblieben. Sylvester Stallone selbst schrieb auf Instagram: „Du warst ein unglaublicher Mann und Künstler, ich und die Welt werden dich sehr vermissen.“

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