Wie der Rest der Gesellschaft steht auch die deutsche Kulturszene unter Schock und sucht in und jenseits von Solidaritätsveranstaltungen einen Umgang mit dem Krieg in Europa. Einen derart monothematischen Wochenrückblick haben selbst zwei Jahre Corona nicht hervorgebracht.
Resonanzraum für die eigenen Ohnmachtsgefühle
Am Schauspiel Köln wird "Art against War" mit direkten Schalten zu Kulturschaffenden in der Ukraine improvisiert, auch in Potsdam strickt das Ensemble mit der heißen Nadel einen "Resonanzraum für die eigenen Ohnmachtsgefühle". Und dieses Gefühl der Ohnmacht zieht sich durch alle Veranstaltungsberichte und -ankündigungen, Interviews und Solidaritätsbekundungen.
Eine "tiefgreifende Kulturkrise", wie es dieser Kommentar im Freitag tut, muss man das noch nicht unbedingt nennen. Dennoch ist der Kommentar lesenswert, denn die Frage "Theater - wozu jetzt noch?" ist zwar in dieser Woche weder zentral noch zu beantworten, aber sie wird es werden, wenn der Kriegsschock seine Folgen in der Form erschütterter Weltbilder offenbart. Hundert Milliarden für die Bundeswehr? Waffenexporte? Nato-Auslandseinsätze? Wiedereinführung der Wehrpflicht? Dazu wird die Kultur in Zukunft Positionen finden müssen und das dürfte alles andere als leicht und schmerzfrei werden.
Auch in die Zukunft führt die Frage nach den Quellen und Folgen von privatwirtschaftlichem Kultursponsoring, die der NDR am Beispiel von Kultureinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern und Sponsoren wie der Nordstream 2 AG und Gazprom aufwirft.
Wer ruft denn da "Cancel Culture!"?
Eine Frage, die sich Kulturinstitutionen in Deutschland und anderswo jetzt stellen, ist die nach dem Umgang mit russischen Künstler*innen. Nach der Entlassung des Chefdirigenten der Münchner Philharmonie Waleri Gergijew, der als Freund Putins gilt und der das Ultimatum des Münchner OB sich deutlich von Putins Krieg zu distanzieren verstreichen ließ, rückt nun Opernstar Anna Netrebko ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Von New York bis Baden Baden "zieht sie sich von Auftritten zurück", wie es in der Frankfurter Rundschau heißt. Allzu viel "Einvernehmlichkeit" dürfte aber kaum dabei gewesen sein, denn auch Netrebko, die ihren fünfzigsten Geburtstag im Kreml gefeiert hat, hat sich nur nach großem Druck und halbherzig von Putins Krieg distanziert.
Die Fälle von Gergijew und Netrebko nimmt Deutschlandfunk Kultur zum Anlass für eine Abrechnung mit dem "verkommenen System der Weltstars [...], in dem auch jetzt noch Unverbesserliche auf die weltumspannende Friedenswirkung von Musik verweisen".
Auch und gerade die Ballettwelt kommt um diese Fragen nicht herum, denn dort arbeiten international besonders viele Russinnen und Russen. Die SZ beschreibt das Zusammenbrechen der Fassaden des angeblich unpolitischen Balletts und der heilen Ballettwelt. Auch der Leiter des bayerischen Staatsballetts Igor Zelensky wird erwähnt, noch ausführlicher schildert jedoch der BR dessen Fall, bei dem München nach Gergijew das nächste Problem droht.
Bitte jetzt differenzieren!
Macht und Kultur - so wird aus den Artikeln deutlich – sind in Russland und besonders unter Putin aufs Engste verknüpft. Gerade deshalb ist es aber wichtig darauf hinzuweisen, wie wichtig nun das Differenzieren ist. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann warnt im rbb vor einer "Gewissensprüfung" russischer Kulturschaffender. Das ist absolut richtig. Dass nun aber schon "Cancel Culture" gerufen wird, wie es die FAZ tut, ist irreführend. Ein "rauschhafter Drang […] russische Künstler jeglicher Gesinnung vom Kulturbetrieb auszuschließen", ist objektiv wohl kaum festzustellen. Und den Fall, bei dem ein solcher Ausschluss dazu geführt hätte, dass "kritische Stimmen ihr Podium verlieren", möge man mir auch bitte zeigen.
In Russland selber suchen sich immer mehr kritische Stimmen ein Podium. Die Zeitschrift Teatr veröffentlicht auf ihrer Homepage eine detaillierte Chronik der Ereignisse und der Proteste in Russland, auch und gerade von Kulturschaffenden. Die SZ berichtet darüber und über weitere Aktionen - auch von sogenannten "Gesichtern des Vertrauens von Putin", die nun aus dem Kreml als Verräter bezeichnet werden. Insgesamt 17.000 russische Kulturschaffende haben einen Appell an Putin unterschrieben, in dem sie einen sofortigen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine fordern, wie die Berliner Zeitung berichtet.
Neben dem Krieg galoppieren ja auch noch zwei andere apokalyptische Reiter namens Pandemie und Klimakatastrophe über uns hinweg.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat angekündigt, dass der Sonderfonds zur Förderung von Kulturveranstaltungen in Corona-Zeiten verlängert werden soll, meldet der WDR.
Neu geschaffen wurde von der Kulturstiftung des Bundes das Programm Zero, eine bundesweite Nachhaltigkeitsinitiative in der Kunst. Das Programm beinhaltet eine Projektförderung zur Unterstützung "klimaneutraler Produktionsformen und neuer Ästhetiken einer ökologischen Nachhaltigkeit", sowie Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und regionale Netzwerktreffen.
Was noch?
Das Berliner Theatertreffen hat die Nominierungen für den Stückemarkt 2022 veröffentlicht. Ausgewählt wurden
Die Intendantin des Hamburger Kampnagel Amelie Deuflhard wurde mit dem Berliner Theaterpreis ausgezeichnet. „Wer sich heute für innovatives Theater interessiere oder im Kulturbetrieb neue Wege suche, komme an den Gruppen und Künstler*innen nicht vorbei, die sie entdeckt und gefördert habe“, zitiert der rbb aus der Begründung der Jury.
Neuer Intendant der Badischen Landesbühne in Bruchsal wird ab der Spielzeit 2023/24 Wolf E. Rahlfs, wie auf baden-württemberg.de zu lesen ist. Rahlfs ist zur Zeit noch Intendant am Theater der Altmark in Stendal.
In Wuppertal bleibt hingegen Thomas Braus bis 2028 Intendant, wie man auf der Homepage der Stadt erfährt.
Und zum Schluss:
Stille.
Oder gerade nicht.