Wochenrückblick #27/24

Weiß jemand, wo der Rotwein steht?

Veröffentlicht am 5. Jul 2024

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Wochenrückblick #27/24

Weiß jemand, wo der Rotwein steht?

Veröffentlicht am 5. Jul 2024

Menschen, Tiere, Emotionen: Wie man in Frankreich das Erstarken der Rechten verarbeitet und ein norddeutsches Orchester gegen die Entmachtung seines GMD kämpft, welcher Schock eine Ballettdirektorin in Schwerin verstummen lässt - und was ein Marabu und ein Pinguin gemeinsam haben.

Sinnkrise light - und extra stark

Mitten in der EM und kurz vor der Sommerpause noch eine kleine Sinnkrise zum Wochenende gefällig? Theater-Altmeister Franz Xaver Kroetz hat dem SPIEGEL gegenüber kundgetan, dass seiner Meinung nach das Theater seine gesellschaftliche Relevanz verloren habe - „aufgefressen von TikTok und Co.“ Da sich heute im Internet jeder sofort zu Wort melden und seine Meinung kundtun könne, werde dem Theater als Diskursort kein Raum mehr zugestanden. Seinen geplanten Auftritt als „Brandner Kaspar“ im Münchner Residenztheater werde er wohl ebenfalls absagen, denn: „Ich stehe ja selber kurz vorm Sterben, da verbringe ich doch die mir verbleibende Zeit nicht mit Warten bei Proben in einer tristen Theatergarderobe.“ Hmm... weiß irgendjemand, wo der Rotwein steht?

In eine größere Sinnkrise kann einen das Abschneiden von Marine Le Pens rechtspopulistischem Rassemblement National bei den französischen Parlamentswahlen stürzen. Das Theaterfestival Avignon will nun gegen das Erstarken der Rechten mobil machen: Wie man im Tagesspiegel nachlesen konnte, hat Festivaldirektor Tiago Rodrigues zum Boykott der Partei aufgerufen. Bei der Eröffnung der diesjährigen Festspiele sagte er, es sei „die historische Verantwortung des Festivals, zur Teilnahme aller an den Parlamentswahlen aufzurufen, die Stimmabgabe im demokratischen Bereich zu fördern und alle zusammenzubringen, um die extreme Rechte zu blockieren“.

Entmachtung in Sicht? - Krise beim Philharmonischen Orchester Bremerhaven

An der Nordseeküste stehen die Zeichen auf Sturm: Eine Aktionsgruppe des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven hat in einem offenen Brief ihrem Intendanten Lars Tietje schwere Vorwürfe gemacht. Das Haus ist momentan auf der Suche nach einem neuen Generalmusikdirektor. Tietje habe erst vor kurzem dem Orchester die Zusage gemacht, dass die bisherige Dreierspitze mit einer modernen Teamleitung durch Intendant, Verwaltungsdirektor und GMD fortgesetzt werden solle. Nun sei aber die zu besetzende Stelle als dem Intendanten untergeordnet und von ihm abhängig ausgeschrieben worden.

Das Orchester sieht darin einen „klaren Vertrauensbruch“, eine Entmachtung des GMD und eine Gefährdung der Zukunft des Stadtheaters. Tietje soll auch angedeutet haben, das Orchester bei der Entscheidungsfindung nicht beteiligen zu wollen. Nun hat der Orchestervorstand dagegen bei Oberbürgermeister und Kulturdezernent protestiert: In einer Pressemitteilung des Orchesters vom 05.07.24 heißt es nun, man habe in „offener, sachlicher Atmosphäre“ diskutiert, allerdings sei die Kernforderung nach einem Fortbestand der Dreierspitze nicht zugesichert worden. Nun will man nach den Theaterferien eine „verbindliche, theaterinterne Regelung“ zwischen Theaterleitung und Orchester anstreben, um die Position des GMD und der Musiker*innen zu sichern. Wenn da nicht doch noch eine steife Brise aufkommt...

"Sprachlos und schockiert": Wiest muss Schwerin verlassen

Wir bleiben Im Norden, wo in Mecklenburg ein regelrechter Wechselwind getobt hat: Nach einem Bericht des NDR hat sich das Mecklenburgische Staatstheater mit sofortiger Wirkung von Ballettdirektorin Xenia Wiest getrennt. In einer schriftlichen Erklärung dazu hieß es, Wiest habe mehrfach gegen Pflichten ihres Arbeitsvertrags verstoßen, und ihr Verhalten im Theaterbetrieb sei „untragbar“ gewesen – detailliert wolle man auf die „Reihe von Vorfällen“ aber nicht eingehen, so Intendant Hans-Georg Wegner.

Über die Entscheidung ist Wiest nach eigener Aussage „sprachlos und schockiert“. Nur wenige Tage später ist bereits über eine Nachfolge entschieden worden: Wie Tanznetz erfahren hat, übernimmt der bisherige Ballettmeister Jonathan Dos Santos Wiests Aufgaben und soll als kommissarischer Ballettdirektor fungieren. Der aus Brasilien stammende Tänzer choreografierte in der Vergangenheit schon für das Ballett in Karlsruhe, die São Paulo Dance Company und die Gauthier Dance Company.

Passionstheater: Wird Stückl von der Klippe gestoßen?

Im Süden der Republik rumpelts in den Bergen: Die Gemeinde Oberammergau hat nach einem Bericht des Merkur die Spielleitung für die Passionsspiele 2030 ausgeschrieben. Man wolle laut Bürgermeister Andreas Rödl (CSU) damit den Vorwurf entkräften, die Besetzung werde „im Hinterzimmer ausgekartelt“. Zugleich sei aber im Gemeinderat wohl auch die Diskussion um einen „Generationswechsel“ aufgekommen – und damit die Rolle des bisherigen Spielleiters Christian Stückl in Frage gestellt worden. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat Stückl sich schon längst für seine fünfte Auflage der Passion beworben. Es bleibt abzuwarten, ob dem großen „Reformer“ der Passion auch eine weitere Auflage zugestanden wird. Bewerben können sich für den Posten übrigens nur Kandidat*innen, die auch Mitwirkungsrecht auf Basis der (wegen Corona um zwei Jahre verschobenen) Passion 2022 haben – die also in Oberammergau geboren und aufgewachsen sind oder seit mindestens 20 Jahren dort leben.

"Starkes Stück": Meike Fechner übernimmt ASSITEJ-Leitung

Etwas ruhiger ging der Personalwechsel beim ASSITEJ vonstatten: Wie Theater der Zeit schreibt, übernimmt Kulturmanagerin Meike Fechner ab März 2025 die Leitung des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland. Das bundesweit wirkende Fachzentrum setzt sich für die Entwicklung und Förderung der Darstellenden Künste für junges Publikum ein. Zur Zeit arbeitet Fechner als Leiterin des internationalen Theaterfestivals für junges Publikum „Starke Stücke“; zuvor war sie Geschäftsführerin der ASSITEJ Deutschland.

Der goldene Pinguin – Theater Marabu ausgezeichnet

Das Theater Marabu bleibt auf Erfolgskurs: Bei den 32. Penguin´s Days im Schlosstheater Moers hat die Marabu-Produktion „Genauso, nur anders“ den Preis als beste Inszenierung erhalten. Die Jugendjury, die den Goldenen Pinguin für die Koproduktion mit dem Theater Bonn überreichen durfte, begründete ihre Entscheidung unter anderem mit der „nicht vergleichbare Atmosphäre […], in der viele wichtige Themen unserer Zeit ganz unterschwellig erzählt werden konnten [...].“

Abschied

  • Wie das Portal nachtkritik erfahren hat, ist der Schauspieler und Sprecherzieher Peter-Georg Bärtsch überraschend verstorben. Der 1946 geborene Bärtsch war nach seiner Schauspielausbildung in Zürich einige Jahre auf deutschen und Schweizer Bühnen aktiv. Anschließend studierte er in Stuttgart Sprecherziehung und übernahm Professuren in Stuttgart und an der Folkwang Universität. Neben seiner Dozentur an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg arbeitete er unter anderem an den Münchner Kammerspielen, in Bochum, Mannheim und am Schauspiel Stuttgart als Sprachcoach.
  • Der Schweizer Nachtschatten-Verlag trauert um Autor und Regisseur Ronald Steckel, der im Alter von 79 Jahren verstorben ist. Steckel galt als ein Pionier der deutschsprachigen Drogenliteratur; sein Buch „Bewußtseinserweiternde Drogen – Eine Aufforderung zur Diskussion“ war das erste ernstzunehmende Buch zum Thema Psychedelika und Psychoaktiva. Daneben war Steckel aber auch als Komponist und Regisseur experimenteller Hörstücke, Radio-Features und Theaterproduktionen tätig. Unter anderem arbeitete er mit Claus Peymann, Jürgen Gosch, Edith Clever und seiner Nicht Jette Steckel zusammen. Ein Nachruf findet sich bei nachtkritik

    Ein bekanntes Gesicht des US-Kinos verabschiedete sich diese Woche von uns: Schauspieler Bill Cobbs ist nach einem Bericht des SPIEGEL im Alter von 90 Jahren gestorben. Durch Zufall wurde Cobbs, der in den frühen 1970er Jahren Autos verkaufte, eingeladen, bei einem Theaterstück mitzuspielen. Aus diesem Zufall entwickelte sich eine lange Karriere mit fast 200 Auftritten in Film- und Fernsehproduktionen. Unter anderem spielte Cobbs in „Bodyguard“, „Demolition Man“, „Nachts im Museum“, „The West Wing“ und „Die Sopranos“ mit.
  • Traurige Nachrichten für Fans von „Arrested Development“: Schauspieler Martin Mull ist im Alter von 80 Jahren gestorben, wie der SPIEGEL erfahren hat. Mull begann seine Karriere als Songschreiber und trat in den 1970er Jahren in Hollywood-Clubs mit einem eigenen Comedy-Programm auf. Bekannt wurde er vor allem durch seine Rolle als Vorgesetzter von „Roseanne“ in der gleichnamigen 90er-Jahre-Sitcom und als Privatdetektiv in „Arrested Development“. Außerdem konnte man ihn in den Filmen „Mr. Mom“ und „Mrs. Doubtfire – Das stachelige Kindermädchen“ erleben.

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