Zwischen den Jahren...
Eine interessante Umschreibung der Tage zwischen Weihnachten und Dreikönig. Irgendwie sitzt man zwischen den Stühlen, muss sich bald daran gewöhnen, eine neue Ziffer an die Jahreszahl zu hängen, ist noch ziemlich vollgefuttert vom Weihnachtsessen und trotzdem schon am Planen für das Silvester-Buffett, bevor es mit den guten Vorsätzen und dem unvermeidlichen Sportgerätekauf bei Aldi losgeht.
Nicht zu vergessen: Die Beschwerden der Nachbarn darüber, dass ja alles teurer wird, während sie einen Einkaufswagen voll Feuerwerk in den Kofferraum laden. Immer dieser Jahreswechsel... Wann hört das Alte eigentlich auf, und womit fängt etwas Neues an? - Zum Beispiel bei Theapolis: Mit unserem letzten Wochenrückblick 2023 lassen wir das alte (Theater-) Jahr ausklingen.
Theater Erfurt: Kulturdezernent prophezeit Krisenjahr
In Erfurt kann allerdings von einem ruhigen Jahresausklang keine Rede sein. Kulturdezernent Tobias Knoblich (parteilos) prophezeit laut MDR dem Theater für 2024 ein „Krisenjahr“. Die Aufarbeitung der Vorwürfe zu sexuellen Übergriffen laufe bereits; ein Abschlussbericht der Anwaltskanzlei wird zum Jahresanfang erwartet. Währenddessen dreht sich am Haus selbst das Personalkarrusell äußerst hektisch: Nach der Entlassung von Chefdirigent Alexander Prior wurde nun die Stelle der Personalleitung neu ausgeschrieben.
Der Druck auf Generalintendant Guy Montavon wächst aber auch aus anderen Gründen, wie die Thüringer Allgemeine erfahren hat: Zur aktuellen finanziellen Schieflage seines Hauses habe Montavon nur mangelhaft gegengesteuert; die Stadt wird dem Theater im kommenden Jahr jedenfalls keine zusätzlichen Gelder zur Verfügung stellen.
Völlige Planungsunsicherheit: Theater Eisleben bald insolvent?
Dringender Handlungsbedarf herrscht in Sachsen-Anhalt: Nach einem Bericht von Deutschlandfunk Kultur könnte das Theater Eisleben bald insolvent sein, da der Landkreis Mansfeld-Südharz vorerst kein Geld mehr für das Haus übrig hat. Findet sich bis Ende Januar 2024 keine Lösung für die prekäre Situation, müsste das Theater, das in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feierte, seine Pforten schließen. Es herrscht somit völlige Planungsunsicherheit, 45 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Man kann nur hoffen, dass das aktuelle Bekenntnis Sachsen-Anhalts zur Kultur auch in Eisleben Wirkung zeigt. Wie die Landesregierung mitgeteilt hat, werden die Theater zwischen 2024 und 2028 rund 276 Millionen Euro erhalten. Staats- und Kulturminister Rainer Robra (CDU) sieht „Finanzierungssicherheit und Kontinuität“ als wichtigste Aspekte der neuen Verträge und bezeichnet diese als „starkes kulturpolitisches Signal“.
Dem Göttinger Theater im OP droht nach 40 Jahren das Aus, wie der NDR schildert. Der Vertrag von Theaterleiterin Barbara Korte läuft in Kürze aus, eine Nachfolge ist nach wie vor ungeregelt und die Zukunft der Bühne im ehemaligen Operationssaal ungewiss.
Corona, Inflation und steigende Energiepreise: Nürnberger Freie Szene in Gefahr
Ein erschreckendes Bild zeichnet der Bayerische Rundfunk von den aktuellen Sorgen und Nöten der Freien Szene in Nürnberg. Dem Kindertheater Rootslöffel fehlt das Geld für einen neuen Tourneebus, dem Gostner Hoftheater droht im kommenden Jahr die Insolvenz, die Rücklagen des Theaters Mummpitz sind kommenden Februar aufgebraucht.
Wie vielen freien Bühnen haben auch diesen Nürnberger Institutionen vor allem Corona, Inflation und steigende Energiepreise sowie der damit verbundene Publikumsschwund zugesetzt. Alle Häuser befinden sich aktuell in Gesprächen mit der Stadt Nürnberg, um eine Lösung zu finden.
Hoffnung in Hessen: Kulturförderung für die Freien?
In Hessen hofft der Landesverband für professionelle Freie Darstellende Künste laPROF auf ein baldiges positives Signal der neuen Landesregierung zur Kulturförderung. Laut FAZ fordert Geschäftsführer Jan Deck, dass auch die neue Koalition aus CDU und SPD der Kultur einen angemessenen Stellenwert einräume und hier zu Investitionen bereit sei. Laut Deck sei vom Rückhalt, den die Freie Szene während der Corona-Pandemie erhalten habe, im aktuellen Koalitionsvertrag nur noch wenig zu spüren.
Kontroverse um Khuon: "Antisemitismus nicht gedultet"?
"Froge darf me, wenn me d ́Antwort nid schücht."...für die des alpinen Idioms nicht Mächtigen hier die Übersetzung: „Fragen darf man, wenn man die Antwort nicht scheut“. Frei nach diesem Schweizer Sprichwort muss sich der designierte Interims-Intendant des Züricher Schauspielhauses, Ulrich Khuon, gerade ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen.
Nach einem Bericht der NZZ steht Khuon im Zentrum einer Kontroverse, da er Mitverfasser des Plädoyers der umstrittenen „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“ ist. In dieser hatten verschiedene Kulturschaffende den Entschluss des Bundestags kritisiert, die gegen Israel gerichtete Boycott-Kampagne BDS als antisemitisch zu bezeichnen und ihr nahestehenden Gruppierungen keine Finanzmittel mehr zur Verfügung zu stellen.
Inzwischen haben sich, wie Theapolis berichtete, bereits zahlreiche Theatermacher*innen von der Initiative distanziert. Khuon erklärt seine Motivation damit, dass „der Bundestag überhaupt in die künstlerische Arbeit eingreift – das ist ein falsches Signal“. Allerdings hat seine Beteiligung an der Initiative nicht nur vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts an Brisanz gewonnen – sondern auch durch seine, zwischen den Zeilen des Plädoyers schwebende Solidarisierung mit dem Politikwissenschaftler Achille Mbembe. Dieser war vor einigen Jahren mit israelfeindlichen Äußerungen aufgefallen.
Khuon selbst betont am Ende seines Interviews mit der NZZ: „Antisemitismus und Positionen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, werden auch während meiner Intendanz am Schauspielhaus Zürich nicht geduldet.“
Theater Basel: Bitte kein Getrickse!
Unangenehme Fragen stellt auch Mélanie Honegger in der Basler Zeitung unter dem Titel: „Es ist nicht verboten, an das Publikum zu denken“. Dem Theater Basel fehlen aktuell 2 Millionen Franken, vor allem, da das ältere Publikum – wie in so vielen deutschsprachigen Theaterhäusern – ausbleibt. Die Autorin fordert in ihrer Analyse von dem finanziell gebeutelten Theater einen „offenen und kritischen Dialog mit dem Publikum“ und den Verzicht auf „Getrickse bei der Auslastung und beim Geschäftsbericht“.
Damit hatte das Haus nämlich schon in der Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt. Bei bleibend schwacher Auslastung helfe vielleicht nur eine Grundsatzdebatte: „Welches Zielpublikum schreibt man dem Theater vor, und wie soll das finanziell aufgehen?“ Eine unschöne, aber tatsächlich wichtig Frage, die sich heutzutage so manche Bühne gefallen lassen muss - und auch ernstnehmen sollte.
Kein Wiedersehen im neuen Jahr
Traurige Nachrichten aus unserem Nachbarland: Der ehemalige Direktor und Intendant der hauptstädtischen Bühnen Luxemburg Frank Feitler ist im Alter von 73 Jahren verstorben. Ein Nachruf auf den markanten Impresario, der noch mit Heiner Müller und Peter Zadek zusammengearbeitet hat, findet sich im Luxemburger Wort.
Ein tragischer Fall hat sich in Südkorea ereignet: Darsteller Lee Sun Kyun, vielen aus der bitterbösen Filmsatire „Parasite“ bekannt, ist nach einem Bericht der Aachener Zeitung tot in seinem Auto aufgefunden worden. Zuletzt war gegen den Schauspieler wegen des Verdachts auf Drogenmissbrauch ermittelt worden. Lee Sun Kyun wurde nur 48 Jahre alt.
Ein weiterer Verlust dürfte vor allem die Videospiel-Community hart treffen: Wie das Magazin GALA berichtet, ist Schauspieler Kamar de los Reyes mit 56 Jahren einem Krebsleiden erlegen. Er verkörperte unter anderem den Bösewicht in „Call of Duty: Black Ops II“.
Ohren und Augen auf!
Zum Schluss noch ein paar Tipps für alle, die das neue Jahr auch mit Theater begrüßen wollen (und nicht selbst bei diversen Silvester-Vorstellungen auf der Bühne stehen müssen). Wer an Silvester statt Knallerei spannendes Futter für die Ohren bevorzugt, dem sei der aktuelle Podcast von RBB Online wärmstens empfohlen. Barbara Behrendt beschäftigt sich darin mit dem Begriff Postdramatik und wie dieser unser heutiges Theatererlebnis prägt.
Augen und Ohren werden außerdem beim NDR fündig: In einem spannenden Jahresrückblick, der als Podcast oder als Artikel verfügbar ist, zeigt sich, dass viele antike Bühnenstoffe (leider) mal wieder aktueller sind denn je und auch das Publikum in den nördlichen Theatern begeistert haben.
Euch allen einen guten Rutsch ins neue (Theater-)Jahr 2024 und bis demnächst in diesem Theater...