Wochenrückblick #45/24

Hast du Worte...

Veröffentlicht am 9. Nov 2024

Wochenrückblick #45/24

Hast du Worte...

Veröffentlicht am 9. Nov 2024

Die Ereignisse dieser Woche machen eigentlich vollkommen sprachlos – aber umso wichtiger wird es jetzt werden, den Mund aufzumachen. Warum in Bulgarien ein Theaterstück Ausschreitungen von rechtsaußen ausgelöst hat, in welchen Städten für eine gute Sache protestiert wird – und welche völlig neuen Worte der alte Euripides uns zu sagen hat.
Sprachlos... und wehrlos?

Muss man zu dieser Woche eigentlich noch irgendwas sagen? Zu einer Woche, in der die Ampel-Koalition mitten im abendlichen Fernsehprogramm zerbricht? Und zu einer Woche, in der das „Land der Freien“ einen verurteilten Straftäter, der ganz offen vom Faschismus träumt, in das höchste Amt wählt?... Ach ja, die Theaternachrichten, die gibt es auch noch. Aber auch die zeigen uns in dieser Woche sehr deutlich, was passiert, wenn rechtsgerichtete Ideologen ihrem Hass freien Lauf lassen.

Bei der Premiere von George Bernard Shaws Stück „Helden: Waffen und der Mann“ unter der Regie von Hollywood-Star John Malkovich ist es in Bulgariens Hauptstadt Sofia zu Ausschreitungen gekommen. Anlass dafür war laut Deutschlandfunk Kultur nicht die Inszenierung selbst, sondern das Stück, welches im bulgarisch-serbischen Krieg von 1885 angesiedelt ist und von nationalkonservativen und ultranationalistischen Kreisen als „Beleidigung für das bulgarische Volk“ bezeichnet wurde. Bei der Veranstaltung, deren zerstörerischen Ablauf der „Sofia Globe“ zusammengefasst hat, versuchten nun hunderte Unterstützer*innen „patriotischer“ Organisationen, das Theater zu stürmen. Theaterdirektor Vassil Vassilev wurde physisch angegriffen und zum Rücktritt aufgefordert. Auch der bekannte Regisseur Teodor Ushev wurde beim Verlassen des Gebäudes mit Gegenständen beworfen und durch die Straßen gejagt. Letztlich konnte die Premiere nur vor ein paar wenigen Journalist*innen stattfinden, da Besucher*innen von den Protestierenden am Einlass gehindert worden waren. Regisseur Ushev fragt sich anlässlich dieser Eskalation: “Is this democracy, is this the rule of law, is this the right of reply, is this the right to vote? Is this how things will happen in this country? For me, this is an absolutely fascist country. Tonight is Kristallnacht in Bulgaria. Remember it. And what awaits us is very scary.” 

Und man sollte sich wirklich die Frage stellen: Ist das eine Vision von unserem zukünftigen Alltag, wenn die Rechte gegen alles, was ihr nicht passt, mit brutaler Gewalt vorgeht? Und sind wir dagegen völlig wehrlos – oder sind wir als Künstler*innen nicht dazu verpflichtet, wie Musikerin Amanda Palmer es kurz und bündig nennt, „the resistance“ zu sein?

Endlich mal was Positives... 

Zumindest drei gute Nachrichten hatte diese mehr als bescheiden ausfallende Woche zu bieten: Laut einer NDR-Umfrage kehrt das Publikum in Mecklenburg-Vorpommern ins Theater zurück. In der vergangenen Spielzeit besuchten rund 35.000 Gäste mehr die Bühnen im hohen Norden als im Vorjahr. Mit 525.000 Zuschauer*innen fehlen den Häusern aber immer noch einige Tausend Theaterbegeisterte, um die Vor-Corona-Auslastung zu erreichen.

Der alte Euripides wird nochmal quicklebendig. 2022 wurde südwestlich von Kairo ein Papyrus entdeckt, das nun entziffert werden konnte – und 97 Verse aus den bisher unbekannten Euripides-Tragödien „Ino“ und „Polyidos“ enthält. Zu seiner Zeit galt Euripides als Bestseller-Autor, doch sind nur 19 seiner 88 Stücke überliefert. Mehr zu diesem spannenden Fund im Wüstensand kann man in der NZZ nachlesen.

Und: In NRW gibt’s Extra-Geld – zumindest für zehn ausgewählte Kulturinstitutionen, die sich beim Förderprogramm „Publikum.Personal.Programm – Kultur divers und inklusiv“ beworben hatten. Das Deutsche Musikinformationszentrum hat nun die Auswahl der mit bis zu 100.000 € Geförderten bekannt gegeben: Neben der COMEDIA Köln, dem Düsseldorfer Schauspielhaus und dem tanzhaus nrw erhalten auch die Kulturrampe Krefeld und die Bühnen und Orchester der Stadt Bielefeld den Zuschlag. Mit dem Geld können die Institutionen bei konkreten Projekten nicht nur ihre Websites barrierearm umgestalten oder diverses Personal gewinnen, sondern auch beispielsweise Audiodeskriptionen zu Theaterstücken für Sehbeeinträchtige entwickeln.

„If the money´s out, we riot!“ - Proteste gegen Sparmaßnahmen in Dresden, Berlin und Kempten

Das war allerdings auch schon die einzig gute Nachricht zum leidigen Thema Geld. Ansonsten schwebt nach wie vor das Damoklesschwert der Sparmaßnahmen über den Häuptern zahlreicher Kulturinstitutionen in Deutschland. Doch diese wehren sich weiterhin beherzt dagegen: Nach einem Bericht von Nachtkritik hat das Bündnis #WOD – Weltoffenes Dresden einen Protest unter dem Motto #KulturIstZukunft ins Leben gerufen. Die angekündigten drastischen Sparmaßnahmen im Kulturhaushalt würden viele Dresdner Kultureinrichtungen „vor existentiell bedrohliche Einschränkungen stellen, vielleicht sogar vor das Ende ihrer bisherigen Tätigkeit“ stellen. Unterstützt wird die Aktion unter anderem von der Semperoper, dem Staatsschauspiel, HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste und der Staatsoperette

In Berlin hat das Bündnis #BerlinIstKultur für den 13. November zu einer Protestaktion gegen die Sparmaßnahmen der Bundeshauptstadt aufgerufen. Die Online-Petition des Deutschen Bühnenvereins gegen diese Sparpläne verzeichnet zahlreiche Unterstützer*innen.

Und auch für das Theater in Kempten (TiK) wurde nun eine Petition ins Leben gerufen, wie der BR berichtet. Damit wolle man Oberbürgermeister Thomas Kiechle (CSU) und die Stadträte davon überzeugen, den vorgeschlagenen – und für das Theater existenzbedrohenden – Sparplänen der Verwaltung nicht zuzustimmen. Theaterdirektorin Silvia Armbruster will versuchen, einen „kulturellen Kahlschlag“ im Theater zu verhindern. Inzwischen hat der Oberbürgermeister reagiert und dem Theater für das kommende Jahr 150.000 € aus dem Haushaltsüberschuss zugesagt. Allerdings reiche dies laut Armbruster nur, um „ein Jahr weiterzumachen.“

Willkommen und Abschied – Die Personalia der Woche

Nach einem zähen Ringen mit einigen Aufregern im beschaulichen Voralpenland ist die Entscheidung nun gefallen: Spielleiter Christian Stückl wird auch 2030 die Passionsspiele in Oberammergau inszenieren. Das berichtet der Merkur mit dem Verweis auf eine mehrheitliche Entscheidung des Oberammergauer Gemeinderats. Für den 62-jährigen Stückl wird dies die fünfte Auflage der Passion sein, die er 1990 als damals jüngster Spielleiter übernommen hatte. Laut BR kündigte Stückl an, sich in seiner Neuauflage des Stücks mehr mit der Figur von Jesus beschäftigen zu wollen, mit dem 80% der Jugendlichen nichts mehr anfangen könnten – doch gerade die Jugend gelte es in Zeiten einer Theaterkrise zu begeistern.

Ein anderer Spielleiter nimmt dagegen seinen Hut – und sein Theaterprojekt gleich mit: Simon Burkhalter hat für 2026 das Ende der Freilichtspiele Moosegg im Schweizer Emmental angekündigt, wie das Portal „Der Bund“ meldete. Die Entscheidung sei zwar freiwillig erfolgt und nicht finanziellen Problemen geschuldet - allerdings sei es in der vergangenen Jahren durch ungewisse Publikumszahlen und regnerisches Wetter immer schwieriger gewesen, Personal zu verpflichten. Bevor die Treue von Zuschauer*innen und Darsteller*innen nachlasse, wolle Burkhalter lieber die Reißleine ziehen: „Das 30-Jahr-Jubiläum ist ein guter Moment, um aufzuhören.“

Haufenweise Schauspielpreise

Schauspieler Marin Blülle erhält den mit 5.000 € datierten Erich-Ponto-Preis 2024. Alle zwei Jahre verleiht der Förderverein des Staatschauspiels Dresden diesen Preis an eine*n Schauspieler*in des Ensembles, um herausragende Leistungen zu würdigen. Mit Blülle wählte man in diesem Jahr einen „außerordentlich vielseitigen Darsteller, der es mit beeindruckender Bühnenpräsenz schafft, in großen wie in kleinen Rollen gleichermaßen zu brillieren.“ 

Und auch in Berlin ist die (Vor-)Freude groß: Die Schauspieler Lars Eidinger und Franz Rogowski sind für den Europäischen Filmpreis als beste Darsteller nominiert, wie RBB24 berichtet. Eidinger könnte die Trophäe für seine Rolle im deutschen Familiendrama „Sterben“ holen, Rogowski ist mit dem US-amerikanischen Coming-of-Age-Film „Bird“ im Rennen. Die Konkurrenz kann sich aber ebenfalls sehen lassen: Daniel Craig, Ralph Fiennes und Abou Sangare sind auch für den Preis nominiert.

Abschied

Wie beim SPIEGEL nachzulesen war, ist der rumänisch-schweizerische Aktionskünstler Daniel Spoerri diese Woche im Alter von 94 Jahren gestorben. Nach einer Karriere als Tänzer in Bern widmete sich Spoerri ab den 1950er Jahren der bildenden Kunst. Er gilt als Begründer der „Eat Art“, einer Verbindung aus Happening und Skulpturenkunst: Nach einem ausgiebigen Essen seiner Gäste klebte er das verschmutzte Geschirr in zufälligen Arrangements an die Wand. Gemeinsam mit Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle war er am „Manifest des Neuen Realismus“ beteiligt.

Auch Schauspielerin Terri Garr hat uns für immer verlassen, wie das Portal „Serienjunkies“ erfahren hat. Sie wurde 79 Jahre alt, nachdem sie über zwanzig Jahre lang mit einer MS-Erkrankung zu kämpfen hatte. Ihr bekannteste Kinorolle hatte sie an der Seite von Dustin Hoffmann in der Komödie „Tootsie“, was ihr beinahe einen Oscar als beste Nebendarstellerin eingebracht hätte. Außerdem spielte sie in vielen Serien wie „M*A*S*H“ und „The Odd Couple“ mit. Eingefleischten „Friends“-Fans wird sie als leibliche Mutter von Phoebe (Lisa Kudrow) in Erinnerung bleiben.

Er hat den Erfolg der ganz großen Stars möglich gemacht: Musikproduzent Quincy Jones ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Er produzierte unter anderem Michael Jacksons Alben „Off The Wall“ und „Thriller“; letzteres gilt bis heute als das meistverkaufte Album aller Zeiten. Auch James Ingram und Lesley Gore gehörten zu seinen erfolgreichen „Ziehkindern“. Außerdem produzierte Jones die bei 90er-Kult-TV-Serie „Der Prinz von Bel-Air“ - und schlug Will Smith damals für die Hauptrolle vor. Ein Nachruf findet sich im STERN.

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