"Null Bock auf Theater" - öffentlich-rechtliche Antiwerbung mit Cringe-Faktor
Gerade, wo es doch so richtig herbstlich gemütlich und besinnlich wurde... Wo man mit Tee und heimlich „viel zu früh“ eingekauften Baumkuchen und Mandelprinten auf dem Sofa entspannt und mal kurz vergessen hatte, was gerade in der Welt so vor sich geht - da haut die ARD aus heiterem Himmel ein Theater-Bashing raus, das nicht nur verwundert, sondern auch den Cringe-Faktor bei den Öffentlich-Rechtlichen in ungeahnte Höhen treibt. „Für alle, die null Bock auf Theater haben, gibt’s hier auch Konzerte, Kino oder Comedy.“ So wurde in den sozialen Netzwerken die neue Sparte "ARD Kultur" beworben.
Autor Stefan Keim kommt in seinem Bericht in Theater der Zeit – wie vermutlich auch die meisten Leser*innen – aus dem Staunen kaum mehr heraus: Warum bedient sich die ARD einer Negativwerbung, die in Deutschland eigentlich verboten ist? Was für ein verstaubtes und irreales Bild hat das deutsche Fernsehen eigentlich vom Theater? Und: Wer sagt bitte heute noch „null Bock“?
Immerhin: Nach Veröffentlichung des Artikels hat die ARD Kultur-Redaktion einen Rückzieher gemacht und das Werbemotiv gestrichen. Aber die Fragen bleiben – und auch das ungute Bauchgefühl: Haben die öffentlich-rechtlichen Sender nicht oft genug mit dem Ruf zu kämpfen, „unzeitgemäß“ zu sein – wie auch immer wieder das Theater? Sollte man sich da nicht innerhalb der Kultur-Gewerke viel mehr vernetzen und unterstützen als sich gegenseitig auf die (verstaubte?) Baskenmütze zu hauen?
Trauriger erster Platz: Das Theater als „unmoralische Anstalt“
Apropos Unterstützung: Wie Der Standard berichtete, hat die österreichische Vertrauensstelle Vera*, die sich für Betroffene von Belästigung und Gewalt im Kulturbetrieb einsetzt, ihren ersten Jahresbericht vorgelegt. Insgesamt 90 Personen haben sich bis jetzt an den Verein gewendet, davon waren 75% Frauen. Das Theater belegt bei den Missständen einen traurigen ersten Platz, gefolgt von der Musikindustrie und dem Filmbereich. Strukturelle, sexualisierte und psychische Gewalt wurden gemeldet, häufig in unheilvoller Kombination miteinander, was Geschäftsführerin Clara Gallistl als Bestätigung des Bedarfs einer Vertrauensstelle sieht. Das Theater als „unmoralische Anstalt“ - zum Glück finden immer mehr Betroffene den Mut, sich dagegen zu wehren.
Und auch in Erfurt gibt es Gegenwehr: Die entlassene Gleichstellungsbeauftragte Mary-Ellen Witzmann, die Missbrauchsvorwürfe gegen das dortige Theater öffentlich machte (Theapolis berichtete), will gerichtlich gegen ihren Rauswurf vorgehen. Laut MDR ist ihre Kündigungsschutzklage beim örtlichen Arbeitsgericht eingegangen. Die Grünen, die Witzmanns Kündigung scharf kritisiert hatten, forderten in einer Aktuellen Stunde inzwischen Aufklärung über die Vorgänge. Mittlerweile ist eine Untersuchungskomission zu den Vorfällen am Theater eingerichtet worden, die auch anonyme Hinweise entgegennimmt.
Theater Lüneburg: Insolvenz vorerst vom Tisch
Zwischenzeitliches Verschnaufen in Lüneburg: Nach einem Bericht des NDR hat das Land Niedersachsen zusätzliche Gelder für das finanziell arg gebeutelte Theater zur Verfügung gestellt. Laut Chefdramaturg Friedrich von Mansberg ist eine mögliche Insolvenz damit zwar erst einmal vom Tisch, aber eine dauerhafte Lösung sei dies nicht, um das Finanzloch zu stopfen. Die steigenden Personalkosten hatten sogar die Möglichkeit einer Auflösung des Orchesters und Abwicklung des Musiktheaters in die Diskussionen einfließen lassen.
Wer geht, wer bleibt?
Rückzug in Weimar: Der langjährige Generalintendant Hasko Weber wird das DNT zum Ende der Spielzeit 2024/25 verlassen, wie der Deutschlandfunk erfahren hat. „Persönliche Gründe“ seien hierfür ausschlaggebend. Der Aufsichtsrat und die Geschäftsführung werden sich nun zur Regelung einer Nachfolge zusammensetzen.
Auch in Konstanz wird man demnächst viele Gespräche führen müssen, denn Intendantin Karin Becker wird ihren Vertrag nicht verlängern. Grund dafür seien wohl auch die andauernden Spardebatten rund um das Theater, wie der SWR berichtet. Die Auswirkungen dieser Debatten hätten die Arbeit und die künstlerischen Prozesse beeinflusst. Dennoch sei Becker stolz auf das Team und die Leistungen der vergangenen Jahre, für die sie sich bis zu ihrem Weggang Ende 2024/25 mit voller Energie einsetzen will.
Am Theater Dortmund dagegen bleibt beim Kinder- und Jugendtheater alles beim Alten: Intendant Andreas Gruhn, der seit 1999 mit an Bord ist, hat seinen Vertrag bis 2027 verlängert. Er soll bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden den Neubau begleiten und „den Betrieb bestmöglich auf das neue Haus vorbereiten“, so die Stadt Dortmund zu ihrer Entscheidung.
Reihenweise Preise - und ein Eklat
Bei der IKARUS Gala 2023 sind in Berlin die Preise für die besten Inszenierungen des Jahres vergeben worden. Als Gewinner*innen in der Kategorie Kindertheater haben Nasheeka Nedsreal und Theater o.N. mit „Flip Flop“ und die Zitadelle Puppet Company mit „Neeweißnicht und Rosenrot“ abgeräumt. Über Preise in der Kategorie Jugendtheater durften sich die Tanzkomplizen mit „OZ – Der Zauberer in uns“ und das Platypus Theater mit „Ikarus f**ked up“ freuen. Wie immer hat neben der Fach- auch eine Jugendjury über ihre Favoriten entschieden, die mit einem Preisgeld von jeweils 2.500 € nach Hause gehen dürfen.
Einen Preisgeld-Scheck darf sich auch Dramatiker Wolfgang Lotz abholen: Er erhält den mit 10.000 € dotierten Else Lasker-Schüler-Dramatikpreis 2024 des Landes Rheinland-Pfalz. Aus der Begründung der Jury, die unter anderem mit Ulrich Khuon und Meike Klingenberg besetzt ist: „Seine Kunst will nicht fertig werden mit der Welt, sie enthält vielmehr einen Auftrag an die Zusehenden, sie immer wieder neu zu denken.“ Den Stückepreis erhält 2024 Deborah von Wartburg für „Victory im Sonnengruß“, das nun am Pfalztheater Kaiserslautern uraufgeführt werden soll. Weitere Gewinner*innen sind Hanna Valentina Röhrich für „The Girl. Eine Schelminnenkomödie“ und Felix Krakau für „Celebration (Florida)“.
Einen Eklat gab es dagegen bei der Verleihung des Kulturpreises Bayern: Die Hip-Hop-Combo „Dicht und Ergreifend“ hat nach einem Bericht des BR den Preis abgelehnt. Begründet hat die Band ihre Entscheidung damit, dass es ihnen nicht möglich gewesen sei, bei der „Marketing-Live-Gala“ des von der Bayerwerk AG und der bayerischen Staatsregierung verliehenen Preises für ihr Hilfsprojekt in Burkina Faso Spenden zu generieren.
In einem YouTube-Video liefern „Dicht und Ergreifend“ eine knallharte Kritik an der Kulturpreis-Politik ab: „Man kann auf das Bundesland Bayern stolz sein in diesen apokalyptischen Zeiten, eine solch wohltätige Veranstaltung auf die Beine zu stellen.“ Der Mutterkonzern der Bayernwerk AG, EON, habe den Gewinn im letzten Geschäftsjahr auf „magere“ 8,1 Milliarden Euro steigern können und sei dadurch nun in der Lage, „uns hilfsbedürftige Künstler (sic!) mit der horrenden Summe von 5.000 € für herausragende Dienste im Kulturbereich unter die Arme zu greifen.“ Weiterhin danke man der Bayerischen Staatsregierung, „die das ganze eingefädelt hat, ohne auch nur einen Cent aus den staatlichen Kulturtöpfen für die heutige Preisträgerinnen und Preisträger auszugeben.(sic!)“ Angeblich will die Bayernwerk AG nach diesem Statement das Preisgeld der Band an die Aktion für Burkina Faso spenden.
Abschiede
Das deutsche Fernsehen hat ein weiteres Talent verloren: Wie das ARD-Magazin „Brisant“ schreibt, ist die Schauspielerin Christiane Pearce-Blumhoff im Alter von 81 Jahren verstorben. Besonders aus dem Serien-Universum rund um die bayerische Landeshauptstadt München war sie kaum wegzudenken: In „Die seltsamen Methoden des Josef Wanninger“, „Tatort“, „Der Alte“, im „Komödienstadl“ und auch bei „Dahoam is dahoam“spielte sie mit. Ihr Sohn - Schauspieler, Synchronsprecher und Comedian Simon Pearce - nahm in den sozialen Netzwerken bewegend Abschied von ihr: „Du hast dich auf die wohlverdiente Reise zu Papa gemacht, und jetzt könnt ihr wieder zusammen tanzen."
Viel zu jung verstorben ist nach einem Bericht des „Spiegels“ der ehemalige Kinderdarsteller Evan Ellingson. Er wurde mit gerade einmal 35 Jahren leblos in seiner Wohnung aufgefunden. Viele Nuller-Jahre-Serienfans werden ihn durch seine Auftritte in „24“ mit Kiefer Sutherland oder „CSI: Miami“ in Erinnerung behalten.